Das Buch der Geister

Allan Kardec

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155a. Vollzieht sich die Trennung plötzlich und in hastigem Übergang? Gibt es eine scharfe Grenzlinie zwischen Leben und Tod?
„Nein, die Seele macht sich allmählich los und entfliegt nicht wie ein gefangener Vogel, dem man plötzlich die Freiheit wiedergibt. Die beiden Zustände berühren und vermischen sich: der Geist befreit sich allmählich von seinen Banden, diese lösen sich und brechen nicht.“


Während des Lebens hängt der Geist durch seine halbstoffliche Hülle (Perispirit) mit dem Leib zusammen. Der Tod ist die Zerstörung des Leibes allein und nicht jener zweiten Hülle, welche sich vielmehr vom Leib trennt, wenn in diesem das organische Leben erlischt. Die Beobachtung beweist, dass im Augenblick des Todes die Ablösung des Perispirit nicht sofort eine vollständige ist. Sie vollzieht sich nur allmählich und mit einer je nach den Individuen sehr verschiedenen Geschwindigkeit. Bei den einen geschieht sie ziemlich schnell, so dass man sagen kann, dass der Augenblick des Todes zugleich der der Befreiung sei. Bei anderen hingegen, besonders bei denen, deren Leben ganz materiell und sinnlich gewesen ist, ist die Trennung viel weniger schnell und dauert zuweilen Tage, Wochen, ja Monate, was übrigens kein bisschen Leben im Leib, noch die Möglichkeit einer Rückkehr ins Leben in sich schließt, sondern nur eine einfache Verwandtschaft zwischen Geist und Leib, welche stets im Verhältnis steht zu dem Übergewicht des Geistes über den Stoff während des Lebens. Es ist in der Tat selbstverständlich, dass, je mehr der Geist sich mit dem Stoff identifiziert hatte, er auch desto mehr Mühe hat, sich von ihm zu trennen. Umgekehrt bewirken intellektuelle und moralische Tätigkeit, Erhebung des Denkens selbst schon während des Lebens einen Anfang des Loslassens und wenn der Tod eintritt, so geschieht dies augenblicklich. Dies ist das Resultat aller Beobachtungen, die man an Individuen im Moment ihres Todes angestellt hat. Diese Betrachtungen beweisen ferner, dass die Verwandtschaft, die bei gewissen Individuen zwischen Seele und Leib fortbesteht, zuweilen sehr qualvoll ist, denn der Geist kann dann das Grauen des körperlichen Zerfalls erfahren. Dieser Fall bildet übrigens eine Ausnahme und zeichnet gewisse Lebens – und Todesarten; er zeigt sich bei gewissen Selbstmördern.