Das Buch der Geister

Allan Kardec

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KAPITEL IV
III. DAS GESETZ DER FORTPFLANZUNG

1. Bevölkerung der Erde. – 2. Aufeinanderfolge und Vervollkommnung der Völker.
– 3. Hindernisse der Fortpflanzung. – 4. Ehe und Zölibat. – 5. Polygamie.


Bevölkerung der Erde.

686. Ist die Fortpflanzung der lebendigen Wesen ein Naturgesetz?

„Offenbar, ohne Fortpflanzung ginge die leibliche Welt zugrunde.“

687. Wenn die Bevölkerung sich immer in wachsendem Fortschritt vermehrt, wird da nicht eine Zeit kommen, wo die Erde übervölkert sein wird?

„Nein, dafür sorgt Gott und er hält das Gleichgewicht stets aufrecht. Er tut nichts Unnützes. Der Mensch, der nur einen kleinen Abschnitt aus dem Gesamtgemälde der Natur überblickt, hat kein Urteil über die Harmonie des Ganzen.“

Aufeinanderfolge und Vervollkommnung der Völker.

688. Es gibt gegenwärtig menschliche Völker, die offenbar in der Abnahme begriffen sind. Wird eine Zeit kommen, wo sie vom Erdboden verschwunden sind?

„Das ist richtig, aber es haben dann andere ihre Stelle eingenommen, wie einst andere die eure einnehmen werden.“

689. Sind die jetzigen Menschen eine neue Schöpfung, oder die vervollkommneten Abkömmlinge von ursprünglich vorhandenen Wesen?

„Es sind dieselben Geister, welche wiedergekommen sind, um sich in neuen Leibern zu vervollkommnen, die aber noch weit entfernt sind von der Vollendung. So wird die gegenwärtige menschliche Bevölkerung, die durch ihre Vermehrung die ganze Erde zu erobern und an die Stelle der aussterbenden Völker sich selbst zu setzen strebt, auch ihrerseits ihre Periode des Absterbens und des Verschwindens erleben. Andere vollkommenere Völker werden an ihre Stellen treten, Abkömmlinge der jetzigen Völker, wie die zivilisierten Menschen von heute von den rohen und wilden Wesen der Urzeiten abstammen.“

690. Sind die Körper der jetzigen Völker vom rein physischen Gesichtspunkt aus eine besondere Schöpfung, oder stammen sie auf dem Weg der Fortpflanzung von den ursprünglichen Leibern ab?

„Der Ursprung der Völker verliert sich im Dunkel der Zeiten. Da sie aber alle der großen menschlichen Familie angehören, welches auch der Urstammvater von jedem gewesen sein mag, so konnten sie sich untereinander verbinden und neue Typen hervorbringen.“

691. Was ist vom physischen Gesichtspunkt aus der unterscheidende und herrschende Charakter der ersten Völker?

„Entwicklung der rohen Kraft auf Unkosten der Intelligenz: Jetzt findet das Gegenteil statt: Der Mensch wirkt mehr durch seine Intelligenz als durch seine Leibesstärke und doch wirkt er hundertmal mehr, weil er die Kräfte der Natur zu benutzen wusste, was die Tiere nicht können.“

692. Ist die Vervollkommnung der Tier- und Pflanzenarten durch die Wissenschaft dem Naturgesetz zuwider? Entspräche es dem letzteren besser, den Dingen ihren natürlichen Lauf zu lassen?

„Man soll alles tun, um zur Vollkommenheit zu gelangen und der Mensch selbst ist ein Werkzeug, dessen sich Gott bedient, um zu seinen Zielen zu gelangen. Da die Vollkommenheit das Ziel ist, dem die Natur zustrebt, so ist eine Begünstigung dieser Vollkommenheit nur eine Förderung ihrer Absichten.“

692a. Aber der Mensch wird in seinen Bestrebungen nach Verbesserung der Völker gewöhnlich nur durch ein persönliches Gefühl getrieben und verfolgt keinen anderen Zweck, als die Mehrung seiner Genüsse. Vermindert dies nicht sein Verdienst?

„Was tut es, wenn sein Verdienst keines ist, wenn nur der Fortschritt vonstatten geht. An ihm ist es, seine Arbeit zu einer verdienstlichen zu machen durch seine Absicht. Übrigens übt und entwickelt er seine Intelligenz durch diese Arbeit und in dieser Beziehung zieht er davon den meisten Nutzen.“

Hindernisse der Fortpflanzung.

693. Stehen die menschlichen Gesetze und Gewohnheiten, die zu ihrem Zweck und zu ihrer Wirkung die Verhinderung der Fortpflanzung haben, im Widerspruch mit den Gesetzen der Natur?

„Alles, was die Natur in ihrem Fortschreiten behindert, widersteht dem allgemeinen Gesetz.“

693a. Es gibt aber dennoch gewisse Gattungen lebender Wesen, sowohl Pflanzen als Tiere, deren unbeschränkte Fortpflanzung anderen Gattungen schädlich wäre und denen der Mensch selbst zum Opfer fallen würde. Begeht er nun etwas Tadelnswertes, wenn er diese Fortpflanzung aufhält?

„Gott gab dem Menschen die Macht über alle lebenden Wesen, die er zum Guten gebrauchen, aber nicht missbrauchen soll. Er darf die Fortpflanzung nach Bedarf regeln, er darf sie aber ohne Not nicht behindern. Die vernünftige Einwirkung des Menschen ist ein von Gott geordnetes Gegengewicht, um in den Kräften der Natur das Gleichmaß herzustellen und auch das unterscheidet ihn von den Tieren, weil er es mit Sachkenntnis tun kann. Aber die Tiere selbst tragen ebenfalls zu diesem Gleichgewicht bei, denn der ihnen verliehene Zerstörungstrieb bewirkt, dass sie gerade in der Sorge für ihre eigene Erhaltung die übermäßige und vielleicht gefährliche Entwicklung der Tier – und Pflanzengattungen aufhalten, von denen sie sich nähren.“

694. Was ist vom Brauch zu halten, die Fortpflanzung in der Absicht sinnlicher Genüsse aufzuhalten?

„Das beweist die Vorherrschaft des Leibes über die Seele und wie tief der Mensch im Stoff steckt.“

Ehe und Zölibat.

695. Widerspricht die Ehe, d.h., die bleibende Vereinigung zweier Wesen dem Gesetz der Natur?

„Sie ist ein Fortschritt im Ganzen der Menschheit.“

696. Was für eine Wirkung würde die Abschaffung der Ehe auf die menschliche Gesellschaft ausüben?

„Die Rückkehr zum Leben der Tiere.“

Die freie und zufällige Vereinigung der Geschlechter ist der Zustand der Natur. Die Ehe ist einer der ersten Fortschritte in der menschlichen Gesellschaft, weil sie die wechselseitige brüderliche Verpflichtung einführt und sich bei allen Völkern findet, wenn auch unter mannigfachen Bedingungen. Die Abschaffung der Ehe wäre daher eine Rückkehr zur Kindheit der Menschheit und würde den Menschen sogar tiefer als gewisse Tiere stellen, die ihm das Beispiel bleibender Vereinigung bieten.

697. Liegt die unbedingte Unauflöslichkeit der Ehe im Gesetz der Natur oder nur im menschlichen Gesetz?

„Sie ist ein dem Naturgesetz höchst widersprechendes menschliches Gesetz. Die Menschen können aber ihre Gesetze ändern: nur die Naturgesetze sind unveränderlich.“

698. Ist die freiwillige Enthaltung von der Ehe ein in den Augen Gottes verdienstlicher, vollkommenerer Zustand?

„Nein, und die, welche aus Egoismus so leben, missfallen Gott und betrügen jedermann.“

699. Ist die Ehelosigkeit nicht bei gewissen Personen ein Opfer, das sie dem wirksamen Dienst der Menschheit bringen?

„Das ist etwas ganz anderes. Ich sagte `aus Egoismus´. Jedes persönliche Opfer ist verdienstlich, wenn es um des Guten willen geschieht. Je größer das Opfer, desto größer das Verdienst.“

Gott kann sich nicht widersprechen, noch das, was er getan hat schlecht finden. Er kann also in der Verletzung seines Gesetzes nichts verdienstliches finden. Wenn aber die Ehelosigkeit an und für sich kein verdienstlicher Stand ist, so verhält es sich anders, wenn sie durch den Verzicht auf die Freuden der Familie zu einem zum Nutzen der Menschheit gebrachten Opfer wird. Jedes dem Guten gebrachte persönliche Opfer, wenn es ohne eigennützigen Hintergedanken geschieht, erhebt den Menschen hoch über sein nur sinnliches Dasein.

Polygamie.

700. Weist die nahezu gleich große Zahl der Menschen beider Geschlechter auf das Verhältnis hin, nach welchem sie sich miteinander verbinden sollen?

„Ja, denn in der Natur hat alles seinen Zweck.“

701. Welche von beiden, die Poly- oder die Monogamie, entspricht am besten dem Naturgesetz?

„Die Polygamie ist ein menschliches Gesetz, dessen Abschaffung einen gesellschaftlichen Fortschritt bezeichnet. Nach den Absichten Gottes soll die Ehe auf die Zuneigung der sich vereinigenden Wesen begründet werden. Bei der Polygamie gibt es keine wahre Zuneigung, sondern nur Sinnlichkeit.“

Entspräche die Polygamie dem Naturgesetz, so müsste sie allgemein verbreitet sein können, was gegenüber der gleichen Stärke der beiden Geschlechter eine tatsächliche Unmöglichkeit wäre. Die Polygamie muss als ein besonderer Brauch oder ein besonderes Gesetz betrachtet werden, das gewissen Sitten entspricht und welches der gesellschaftliche Fortschritt allmählich verschwinden lässt.