Das Buch der Geister

Allan Kardec

Zurück zum Menü
Eine durch die Beobachtung erwiesene, von den Geistern übrigens selbst bestätigte Tatsache ist die, dass niedere Geister sich oft bekannte und hochgeehrte Namen anmaßen. Wer kann uns denn versichern, dass die, welche z. B. Sokrates, Julius Cäsar, Karl der Große, Fénélon, Napoleon, Washington u. s. w. gewesen sein wollen, wirklich diese Persönlichkeiten belebt haben? Dieser Zweifel regt sich bei manchen begeisterten Anhängern der spiritistischen Lehre; sie lassen die Intervention und Manifestationen von Geistern wohl gelten, aber sie fragen sich, wie man ihre Identität kontrollieren kann. Und in der Tat ist diese Kontrolle sehr schwer zu üben: doch wenn man dabei auch nicht so authentisch wie bei einem bürgerlichen Akt verfahren kann, so lassen sich wenigstens nach bestimmten Indizien Mutmaßungen aufstellen.


Wenn sich der Geist jemandes, der uns persönlich bekannt ist, mitteilt, z. B. ein Verwandter oder ein Freund, so tritt namentlich, wenn der Tod vor Kurzem erfolgt ist, gewöhnlich der Fall ein, dass seine Sprache vollständig dem Charakter entspricht, den wir an ihm kannten; dies ist schon ein Identitätsindiz. Allein der Zweifel ist nahezu aufgehoben, wenn dieser Geist von Privatverhältnissen spricht, an Familienumstände erinnert, die nur dem anderen bekannt sind. Ein Sohn wird sich doch in der Sprechweise seines Vaters und seiner Mutter, es werden sich Eltern nicht in der Sprechweise ihres Kindes täuschen. Bei derartigen intimen Anrufen kommen oft ergreifende Dinge vor, die wohl im Stand sind, den Ungläubigsten zu überzeugen. Der verhärtetste Skeptiker wird oft von Enthüllungen entsetzt, die ihm unerwartet gemacht werden.


Es tritt nun aber noch ein anderweiter charakteristischer Umstand hinzu um die Identität zu stützen. Wir haben bereits bemerkt, dass die Schrift des Mediums in der Regel mit dem gerufenen Geist wechselt und dass diese Schrift genau dann wiederkehrt, wenn derselbe Geist sich wieder einfindet; was die vor Kurzem verstorbenen Personen anbelangt, so ist zu wiederholten Malen konstatiert worden, dass diese Schrift mit der Schrift der betreffenden Person bei Lebzeiten eine auffallende Ähnlichkeit zeigt; es sind Unterschriften von vollkommener Übereinstimmung vorgekommen. Übrigens sind wir weit davon entfernt, diese Tatsache als feststehende Regel zu bezeichnen; wir erwähnen sie nur als etwas Merkwürdiges.


Nur Geister, die bis zu einem gewissen Punkt der Läuterung gelangt sind, haben sich von jedem körperlichen Einfluss frei gemacht; sind sie jedoch nicht vollständig dematerialisiert – es ist dies der Ausdruck, dessen sie sich selbst bedienen – , so bewahren sie die meisten Vorstellungen, Neigungen, ja selbst Wunderlichkeiten, die sie auf Erden hatten. Auch dieses ist ein Mittel, sie wiederzuerkennen; aber man findet solche Mittel auch weiter noch in einer ganzen Menge Einzelheiten, die sich allein durch aufmerksame und anhaltende Beobachtung gewinnen lassen. Da kann man Schriftsteller beobachten, die ihre eigenen Werke und Lehren erörtern und gewisse Partien billigen oder verurteilen; andere Geister rufen, unbekannte oder wenig bekannte Umstände ihres Lebens beziehentlich ihres Todes oder sonstige Dinge in Erinnerung, welche allenfalls als moralische Identitätsbeweise gelten können, die einzigen, welche man ja in abstractis anrufen kann.


Kann demnach die Identität des gerufenen Geistes in gewissen Fällen vielleicht bis zu einem gewissen Punkt festgestellt werden, so liegt kein Grund vor, warum sie nicht auch in anderen festgestellt werden könnte, und wenn man bei Personen, deren Tod in ältere Zeit zurückgeht, nicht dieselben Kontrollmittel hat, so kann man sich doch wenigstens an Sprache und Charakter halten: denn der Geist eines tugendhaften Menschen wird nicht wie der eines schlechten oder liederlichen sprechen. Was die Geister anbelangt, welche sich mit hochachtbaren Namen aufputzen, so verraten sie sich bald durch Sprache und Maximen; einer, der sich für Fénélon z. B. ausgäbe und auch nur gelegentlich einmal die gesunde Vernunft und die Moral verletzte, würde sich schon dadurch als gewöhnlicher Betrüger bloßstellen. Sind dagegen die von ihm zum Ausdruck gebrachten Gedanken immer rein, widerspruchslos und der hohen Würde eines Fénélon durchaus entsprechend, so liegt kein Grund vor, an der Identität zu zweifeln; sonst müsste man annehmen, es könne ein Geist, der nur das Gute predigt, wissentlich und ohne allen Nutzen sich zur Lüge herabwürdigen.


Die Erfahrung lehrt, dass Geister derselben Stufe, desselben Charakters und derselben Gefühle sich zu Gruppen und Familien vereinigen; nun ist aber die Zahl der Geister unberechenbar und wir kennen sie lange nicht alle; die Mehrzahl von ihnen sind für uns sogar namenlos.


Ein Geist der Kategorie Fénélons kann daher an seiner Stelle und an seinem Platz kommen, oder er kann sogar von ihm ganz direkt und in seinem Auftrag geschickt werden. Er findet sich dann unter seinem Namen ein, weil er mit ihm identisch ist und ihn ersetzen kann, und weil wir einen Namen brauchen, um unseren Vorstellungen einen festen Halt zu geben. Was kommt es schließlich darauf an, ob ein Geist wirklich der Geist Fénélons ist oder nicht? Wenn er nur Gutes sagt und so spricht, wie Fénélon selbst gesprochen haben würde, so ist es ein guter Geist; der Name, unter welchem er sich zu erkennen gibt, ist gleichgültig und oft nur ein Mittel, um unseren Ideen einen Halt zu geben. Anders läge freilich die Sache beim Rufen innig mit uns verbundener Geister, allein gerade in diesem Fall kann, wie erwähnt, die Identität durch gewissermaßen offen zu Tage liegende Beweismittel festgestellt werden.


Übrigens muss man zugeben, dass diese Substitution der Geister den Anlass zu einer ganzen Menge von Missgriffen geben kann: es können Irrtümer und oft Foppereien hieraus entstehen: es ist dies unleugbar eine Schwierigkeit des praktischen Spiritismus; aber wir haben auch nie behauptet, dass diese Wissenschaft etwas Leichtes wäre oder man sie spielend erlernen könnte, ebensowenig als irgend eine andere Wissenschaft. Wir können es gar nicht oft genug wiederholen: sie verlangt ein ausdauerndes und oft sehr langwieriges Studium; da man die Tatsachen nicht hervorrufen kann, so muss man warten, bis sie sich von selbst einstellen, und dabei werden sie oft unter Umständen hervorgerufen, an welche man am wenigsten denkt. Für den aufmerksamen, geduldigen Beobachter sind die Tatsachen in Fülle vor handen, weil er tausend charakteristische Nuancen entdeckt, die für ihn wahre Lichtblicke sind. Ebenso ist es in den gewöhnlichen Wissenschaften; während der oberflächliche Mensch in einer Blume nur die elegante Form sieht, entdeckt der Gelehrte an ihr wahre Schätze für sein Nachdenken.