Das Buch der Geister

Allan Kardec

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KAPITEL VI
V. DAS GESETZ DER ZERSTÖRUNG

1. Notwendige und mißbräuchliche Zerstörung. – 2. Verwüstende Landplagen. – 3. Kriege.
– 4. Mord. – 5. Grausamkeit. – 6. Zweikampf (Duell). – 7. Todesstrafe.


Notwendige und mißbräuchliche Zerstörung.

728. Ist die Zerstörung ein Naturgesetz?

„Alles muss zu Grunde gehen, damit es nun wieder auflebe und sich neu schaffe; denn was ihr Zerstörung nennt, ist nur eine Umwandlung, welche die Erneuerung und Verwandlung der lebenden Wesen zum Zweck hat.“

728a. So wäre also der Zerstörungstrieb den lebenden Wesen von der Vorsehung eingepflanzt worden?

„Gottes Geschöpfe sind die Werkzeuge, deren er sich zu seinen Zwecken bedient. Um sich zu ernähren, zerstören sich die lebenden Wesen untereinander, und zwar zu dem doppelten Zweck, das Gleichgewicht in der Fortpflanzung, die sonst ihr Maß überschritte, herzustellen und andererseits, die Trümmer der äußerlichen Hülle nutzbar zu machen. Es wird aber stets nur die Hülle zerstört, die nur das Zubehör, nicht aber der wesentliche Teil des denkenden Wesens ist. Der wesentliche Teil ist das intelligente Prinzip: dieses ist unzerstörbar und arbeitet sich in seinen Umwandlungen immer höher empor.“

729. Wenn die Zerstörung zur Wiedergeburt der Wesen notwendig ist, warum sind sie dann von der Natur mit den Mitteln sich zu schützen und zu erhalten ausgestattet?

„Damit die Vernichtung nicht vorzeitig eintrete. Jede zu frühzeitige Zerstörung hindert das intelligente Prinzip an seiner Entwicklung. Darum legte Gott in jedes Wesen den Lebens- und den Fortpflanzungstrieb.“

730. Da uns der Tod in ein besseres Leben führen soll und uns von den Übeln des jetzigen befreit und da er somit eher herbeizuwünschen als zu fürchten ist, warum hat denn der Mensch ein instinktmäßiges Grauen vor demselben, so dass er ihn fürchten muss?

„Wir sagten bereits, dass der Mensch sein Leben zu verlängern suchen soll, um seine Aufgabe zu erfüllen. Darum gab ihm Gott den Erhaltungstrieb, der ihn in seinen Prüfungen aufrecht erhält; sonst würde er sich zu oft der Entmutigung hingeben. Die geheime Stimme, die ihn den Tod meiden lässt, sagt ihm, er könne noch etwas Gutes zu seinem Fortschritt verrichten. Droht ihm eine Gefahr, so ist dies eine Warnung, den Aufschub, den ihm Gott zugesteht, sich zunutze zu machen. Aber, welch Undank! Öfter dankt er es seinem guten Stern, als seinem Schöpfer.“

731. Warum setzte die Natur neben die Mittel zur Erhaltung gleichzeitig die zerstörenden Kräfte?

„Die Arznei neben das Übel. Wir sagten es schon: Es geschieht dies zur Erhaltung des Gleichgewichts und als Gegengewicht.“

732. Ist die Notwendigkeit der Zerstörung auf allen Welten dieselbe?

„Sie steht im Verhältnis zu dem mehr oder weniger stofflichen Zustand der Welten. Sie hört auf bei einem höheren und reineren leiblichen und moralischen Zustand. Auf den fortgeschritteneren Welten als die eurige sind die Bedingungen des Daseins ganz andere.“

733. Wird die Notwendigkeit der Zerstörung bei den Menschen auf der Erde immer existieren?

„Sie vermindert sich beim Menschen in dem Maße, als der Geist über den Stoff Herr wird. Deshalb seht ihr den Graus der Zerstörung sich nach der intellektuellen und moralischen Entwicklung richten.“

734. Besitzt der Mensch in seinem jetzigen Zustand ein unbeschränktes Recht der Zerstörung gegenüber den Tieren?

„Dieses Recht knüpft sich an die Notwendigkeit für seine Nahrung und seine Sicherheit zu sorgen. Der Missbrauch war niemals ein Recht.“

735. Was soll man von einer, die Grenzen des Bedürfnisses und der Sicherheit überschreitenden Zerstörung halten, von der Jagd z. B., wenn sie keinen anderen Zweck hat, als den der nutzlosen Vernichtung?

„Vorherrschaft der Vertiertheit über die geistige Natur. Jede Zerstörung, welche die Grenzen des Bedürfnisses überschreitet, ist eine Verletzung des Gesetzes Gottes. Die Tiere zerstören nur um ihrer Bedürfnisse willen, der Mensch aber mit seinem freien Willen vernichtet ohne Not. Er wird Rechenschaft zu geben haben über den Missbrauch seiner Freiheit, denn hier folgt er seinen schlechten Trieben.“

736. Erwerben sich die Völker, welche ihre Bedenken wegen der Zerstörung der Tiere bis zum Übermaß ausdehnen, ein besonderes Verdienst?

„Es ist dies ein Übermaß eines an sich löblichen Gefühls, das so aber ausartet und dessen Verdienst durch manche andere Missbräuche wieder aufgewogen wird. Es ist bei denselben mehr abergläubische Furcht, als wahre Güte.“

Verwüstende Landplagen.

737. In welcher Absicht schlägt Gott die Menschheit mit verwüstenden Landplagen?

„Um sie schneller fortschreiten zu lassen. Sagten wir nicht, dass die Zerstörung notwendig sei zur moralischen Erneuerung der Geister, die in jedem neuen Dasein einen neuen Grad der Vollendung erlangen? Das Ende muss man sehen, um die Resultate zu würdigen. Ihr beurteilt jene nur nach eurem persönlichen Gesichtspunkt und ihr nennt sie Landplagen wegen des Schadens, den sie euch verursachen. Aber diese Umwälzungen sind oft notwendig, um schneller – d.h. oft in wenigen Jahren, wo es sonst viele Jahrhunderte gebraucht hätte – eine bessere Ordnung der Dinge herbeizuführen.“ (744.)

738. Konnte denn Gott nicht andere Mittel als jene zerstörenden Landplagen anwenden, um die Menschheit zum Fortschritt zu führen?

„Ja, und er verwendet sie auch alle Tage, da er einem jeden die Mittel, sich zu vervollkommnen, verlieh, in der Erkenntnis des Guten und Bösen. Der Mensch aber benutzt sie nicht; da muss er dann geschädigt werden für seinen Hochmut, auf dass er seine Schwachheit fühle.“

738a. Aber bei diesen Landplagen unterliegt der Gute wie der Schlechte. Ist denn das gerecht?

„Während seines Lebens führt der Mensch alles auf seinen Leib zurück, nach dem Tod aber denkt er anders und wie wir gesagt haben: Das Leben des Leibes hat nicht viel zu bedeuten, ein Jahrhundert eurer Welt ist gleich einem Blitz in der Ewigkeit. Also sind auch eure Leiden von einigen Monaten oder einigen Tagen, wie ihr das nennt, nichts. Lasst euch das zur Lehre dienen, auch für die Zukunft. Die Geister, sie sind die wirkliche Welt, die vor allem war und alles überdauert. (85.) Sie sind die Kinder Gottes und der Gegenstand all seiner Sorge. Die Leiber sind nur Verkleidungen, in denen die Geister in der Welt erscheinen. Die bei großen Unglücksfällen hinweggerafften Menschen gleichen einem Kriegsheer, das während eines Feldzugs seine Bekleidung abnützt, zerreißt oder verliert. Der Feldherr aber kümmert sich mehr um seine Soldaten, als um ihre Kleider.“

738b. Aber die Opfer dieser Landplagen sind deswegen nicht minder Opfer?

„Wenn man das Leben für das nähme, was es ist und bedachte, wie wenig es bedeutet gegenüber der Unendlichkeit, man legte ihm weniger Gewicht bei. Jene Opfer finden in einem anderen Dasein einen reichlichen Ersatz für ihre Leiden, wenn sie dieselben ohne Murren zu ertragen wissen.“

Mag der Tod durch eine Pest oder durch eine gewöhnliche Ursache herbeigeführt werden, man muss eben doch sterben, wenn das Stündlein zur Abreise geschlagen hat: der einzige Unterschied ist, dass eine größere Zahl gleichzeitig von dannen zieht. Könnten wir uns in Gedanken soweit erheben, dass wir die Menschheit ganz umfassten und überblickten, so erschienen uns jene grossen Verheerungen nur noch als vorübergehende Gewitter in den Geschicken der Welt.

739. Haben die zerstörenden Landplagen in physischer Beziehung einen Nutzen, trotz den Übeln, die sie mit sich führen?

„Ja, sie verändern zuweilen den Zustand einer Gegend. Das Gute, das daraus entsteht, wird aber oft erst von späteren Geschlechtern empfunden.“

740. Sollten die Landplagen nicht auch moralische Prüfungen für den Menschen sein, die ihn der äußersten Not preisgeben?

„Die Landplagen sind Prüfungen, die dem Menschen Gelegenheit bieten, seine Intelligenz zu üben, seine Geduld und seine Ergebung in Gottes Willen zu zeigen und die es ihm möglich machen, seine Selbstlosigkeit, seine Uneigennützigkeit und Nächstenliebe zu entfalten, wenn er nicht in die Banden des Egoismus geschlagen ist.“

741. Ist es dem Menschen verliehen, die Landplagen, die über ihn kommen, zu vermeiden?

„Ja, teilweise, aber nicht so, wie man es gewöhnlich meint. Viele Landplagen sind die Folge von seinem Mangel an Voraussicht. In dem Maße als er sich Kenntnisse und Erfahrung sammelt, vermag er sie zu vermeiden, d.h. ihnen zuvorzukommen, wenn er hinter deren Ursachen zu kommen weiß. Unter den Übeln der Menschheit gibt es aber auch solche allgemeinerer Natur, die in den Absichten der Vorsehung liegen und von denen jedes Individuum mehr oder weniger betroffen wird. Diesen kann der Mensch nur Ergebenheit in den Willen Gottes entgegensetzen. Auch diese Übel werden häufig durch des Menschen Sorglosigkeit verschlimmert.“

Zu den zerstörenden Landplagen, den natürlichen und vom Menschen unabhängigen, sind zunächst die Pest, die Hungersnot, die Überschwemmungen, die Missernten zu rechnen. Hat aber der Mensch nicht schon in der Wissenschaft, den künstlichen Arbeiten, in der Vervollkommnung des Ackerbaues, in der Koppelwirtschaft und der Bewässerung, im Studium der Gesundheitslehre die Mittel gefunden, manch solches Missgeschick abzuwenden und wenigstens zu verringern? Werden nicht gewisse, einst von schrecklichen Plagen heimgesuchte Gegenden jetzt davon verschont? Was wird also der Mensch nicht noch alles für sein leibliches Wohl auszurichten vermögen, wenn er alle Hilfsmittel seiner Intelligenz sich zunutze machen und mit der Sorge für seinen eigenen Schutz die echte Nächstenliebe zu verbinden wissen wird! (707.)

Kriege.

742. Was treibt den Menschen zum Krieg?

„Oberherrschaft der tierischen über die geistige Natur und Befriedigung seiner Leidenschaften. Im Zustand der Barbarei kennen die Völker nur das Recht des Stärkeren und darum ist der Krieg für sie ein normaler, regelrechter Zustand. Je mehr der Mensch fortschreitet, desto seltener werden die Kriege, weil der Mensch dann deren Ursachen vermeidet und, wenn sie nicht mehr zu vermeiden sind, die Menschlichkeit damit zu verbinden weiß.“

743. Wird der Krieg einst vom Erdboden verschwinden?

„Ja, wenn die Menschen die Gerechtigkeit erkennen und das Gesetz Gottes betätigen werden: dann sind alle Menschen Brüder.“

744. Was war der Zweck der Vorsehung, da sie den Krieg notwendig machte?

„Freiheit und Fortschritt.“

744a. Wenn aber der Krieg die Wirkung haben soll, dass der Mensch zur Freiheit gelange, wie kommt es denn, dass er oft die Unterjochung zum Zweck und zur Folge hat?

„Vorübergehende Unterjochung, um die Völker zu ermüden, damit sie desto schneller zum Ziel gelangen.“

745. Was ist von dem zu halten, der einen Krieg zu seinem eigenen Vorteil erregt?

„Der ist der wahre Schuldige und er wird sehr vieler Existenzen bedürfen, um alle Totschläge, die er veranlasste, zu sühnen, denn er wird über jeden Menschen, dessen Tod er zur Befriedigung seines Ehrgeizes verursachte, Rechenschaft zu geben haben.“

Mord.

746. Ist der Mord ein Verbrechen in den Augen Gottes?

„Ja, ein großes Verbrechen. Denn wer seinesgleichen das Leben nimmt, zerreißt ein Leben der Sühne oder der Mission und hierin liegt das Übel.“

747. Ist die Schuld bei jedem Mord die gleiche?

„Schon oft sagten wir: Gott ist gerecht, er richtet die Absicht mehr als die Tat selbst.“

748. Entschuldigt Gott den Totschlag im Fall der Notwehr?

„Die Notwendigkeit allein kann ihn entschuldigen. Kann man aber sein eigenes Leben bewahren, ohne das des Angreifers zu beeinträchtigen, so soll man es tun.“

749. Ist der Mensch der Tötungen schuldig, die er im Krieg begeht?

„Nein, wenn er durch die Gewalt dazu angehalten wird; hingegen ist er der Grausamkeiten schuldig, die er begeht, und seine Menschlichkeit wird ihm gutgeschrieben werden.“

750. Wer trägt die größere Schuld in den Augen Gottes, der Vatermörder oder der Kindesmörder?

„Beide tragen dieselbe Schuld, denn jedes Verbrechen ist ein Verbrechen.“

751. Woher kommt es, dass bei gewissen, in intellektueller Beziehung schon fortgeschritteneren Völkern der Kindesmord in den Sitten liegt und von der Gesetzgebung geheiligt ist?

„Die intellektuelle Entwicklung bedingt noch nicht die Notwendigkeit des Guten. Der an Intelligenz überlegene Geist kann sehr schlecht sein. Das ist der, welcher viel gelebt hat, ohne sich zu bessern: Er besitzt aber nur das Wissen.“

Grausamkeit.

752. Kann man die Grausamkeit aus dem Zerstörungstrieb ableiten?

„Es ist der Zerstörungstrieb in seiner schlimmsten Entartung, denn wenn das Zerstören zuweilen notwendig ist, so ist es doch niemals die Grausamkeit; diese ist stets das Ergebnis einer schlechten Natur.“

753. Woher kommt es, dass die Grausamkeit ein herrschender Charakterzug der ältesten Völker ist?

„Bei den ältesten Völkern führt, wie du weißt, der Stoff die Herrschaft über den Geist. Sie überlassen sich den tierischen Trieben und da sie keine anderen Bedürfnisse kennen als die des leiblichen Lebens, so denken sie nur an ihre eigene Erhaltung, was sie eben gewöhnlich grausam macht. Ferner stehen die noch wenig entwickelten Völker unter dem Einfluss ebenso unvollkommener Geister, die ihnen sympathisch sind, bis fortgeschrittenere Völker kommen und diesen Einfluss zerstören oder wenigstens abschwächen.“

754. Beruht die Grausamkeit nicht auf der Abwesenheit des moralischen Sinnes?

„Sage lieber, der moralische Sinn sei nicht entwickelt, denn er existiert im Prinzip bei jedem Menschen. Dieser moralische Sinn ist es, der aus ihnen später gute und menschliche Wesen macht. Er existiert also auch beim Wilden, aber nur so wie das Prinzip des Wohlgeruchs in dem Keime der Blume liegt, bevor sie sich öffnet.“

Alle Fähigkeiten sind im Menschen zunächst nur gleichsam als Ansätze oder Anlagen vorhanden und erwarten in diesem Zustand die zu ihrer Entwicklung mehr oder weniger günstigen Umstände und Bedingungen. Die übermäßige Entwicklung der einen hindert oder unterdrückt die der anderen. Die Überreizung der stofflichen Triebe erstickt sozusagen den moralischen Sinn, sowie die Entwicklung des letzteren nach und nach die rein tierischen Fähigkeiten abschwächt.

755. Wie kommt es, dass man im Schoß der am weitesten fortgeschrittenen Zivilisation zuweilen Wesen findet, die so grausam sind wie die Wilden?

„So wie man auf einem mit guten Früchten voll beladenen Baum auch faule. Das sind, wenn du willst, Wilde, die von der Zivilisation nur das Kleid tragen, Wölfe, die sich mitten unter die Schafe verirrten. Geister niederen Ranges, die sehr zurückgeblieben sind, können sich unter fortgeschrittenen Menschen inkarnieren in der Hoffnung, dann selbst fortzuschreiten. Wird ihnen aber die Prüfung zu schwer, so gewinnt ihr ursprüngliches Wesen wieder die Oberhand.“

756. Wird die menschliche Gesellschaft einst von solchen bösartigen Wesen gereinigt werden?

„Die Menschheit schreitet fort. Jene, vom Trieb des Bösen beherrschten Menschen, die unter den rechtschaffenen Leuten nicht an ihrem Platz sind, werden allmählich verschwinden, wie das schlechte Korn sich vom guten trennt, wenn es geschwungen wird; sie werden aber unter einer anderen Hülle wiedergeboren werden. Alsdann werden sie, da sie nun mehr Erfahrung besitzen, Gutes und Böses besser erkennen. Du findest hierzu ein Beispiel in den vom Menschen veredelten Pflanzen und Tieren, bei denen er neue Eigenschaften entwickelt. Das ist eben: erst nach mehreren Generationen wird die Vervollkommnung vollständig. Es ist dies ein Abbild der verschiedenen Existenzen des Menschen.“

Zweikampf (Duell).

757. Darf der Zweikampf als eine erlaubte Verteidigung betrachtet werden?

„Nein, er ist ein Mord und eine geschmacklose, der Barbarei würdige Sitte. Bei einer höher fortgeschritteneren und moralischeren Zivilisation wird der Mensch einsehen, dass der Zweikampf etwas ebenso Lächerliches ist wie die Kämpfe, die man einst als Gottesgerichte betrachtete.“

758. Kann der Zweikampf als ein Mord von Seiten desjengen angesehen werden, der, seine eigene Schwäche kennend, soviel als gewiss ist zu unterliegen?

„Das ist ein Selbstmord.“

758a. Und wenn die Aussichten gleich sind, ist es dann ein Mord oder ein Selbstmord?

„Das eine wie das andere.“

Wer einen Zweikampf eingeht, ist in allen Fällen, selbst wenn die Aussichten für beide Teile sich gleichstehen, strafbar, zunächst weil er kaltblütig und mit Überlegung sich an dem Leben seinesgleichen vergreift, sodann weil er in unnötiger Weise und ohne Nutzen für irgend jemanden sein eigenes Leben einsetzt.

759. Was ist der Wert des sogenannten „Ehrenkodex“ beim Duell?

„Hochmut und Eitelkeit: zwei Beulen am Leib der Menschheit.“

759a. Gibt es nicht Fälle, wo die Ehre wirklich in Frage steht und wo eine Weigerung Feigheit wäre?

„Das hängt von den Sitten und Gebräuchen ab. Jedes Land und jedes Jahrhundert haben darin eine verschiedene Anschauungsweise. Wenn einmal die Menschen besser und in der Moral weiter fortgeschritten sein werden, werden sie erkennen, dass der wahre Ehrenkodex über den irdischen Leidenschaften steht und dass man nicht dadurch, dass man einen anderen tötet oder sich selbst töten lässt, ein Unrecht wieder gut macht.“

Es liegt mehr Größe und wahre Ehre darin, sich schuldig zu bekennen, wenn man Unrecht hat, oder zu verzeihen, wenn man im Recht ist, auf alle Fälle aber die Beleidigungen zu verachten, die uns ja doch nicht treffen können.

Todesstrafe.

760. Wird die Todesstrafe einst aus der menschlichen Gesetzgebung verschwinden?

„Die Todesstrafe wird unstreitig verschwinden und ihre Abschaffung wird einen Fortschritt der Menschheit bezeichnen. Sind einmal die Menschen mehr aufgeklärt, so wird die Todesstrafe auf Erden nicht mehr bestehen: die Menschen werden es nicht mehr nötig haben, von den Menschen gerichtet zu werden. Ich spreche von einer Zeit, die euch noch ziemlich fern liegt.“

Der gesellschaftliche Fortschritt lässt ohne Zweifel noch viel zu wünschen übrig; man beginge jedoch eine Ungerechtigkeit gegen die moderne Gesellschaft, wenn man nicht in der Beschränkung der Todesstrafe bei den fortgeschrittensten Völkern und in der Gattung der Verbrecher, auf welche sie beschränkt bleibt, einen Fortschritt erblickte. Vergleicht man die Menschenrechte, mit denen die Gerechtigkeit bei diesen gleichen Völkern den Angeklagten zu schützen sucht, die Menschlichkeit, die sie gegen denselben, selbst wenn er als schuldig erkannt ist, übt, mit dem, was in einer noch nicht sehr entfernten Zeit zu geschehen pflegte, so kann man den vorwärtsdringenden Gang der Menschheit nicht verkennen.

761. Mit dem Gesetz der Selbsterhaltung ist dem Menschen das Recht, sein eigenes Leben zu schützen, gegeben. Macht er nun nicht von diesem seinem Recht Gebrauch, wenn er ein gefährliches Glied der Gesellschaft von dieser abschneidet?

„Es gibt noch andere Mittel, sich vor Gefahr zu schützen, als es zu töten. Außerdem soll man dem Verbrecher die Tür der Reue öffnen und nicht sie ihm verschließen.“

762. Wenn die Todesstrafe aus der zivilisierten Gesellschaft verbannt werden kann, war sie dagegen nicht in den weniger fortgeschrittenen Zeiten eine Notwendigkeit?

„Notwendigkeit ist nicht das rechte Wort. Der Mensch hält stets etwas für notwendig, wenn er nichts besseres findet; aber je mehr er fortschreitet und sich aufklärt, desto besser erkennt er, was gerecht und was ungerecht ist und verwirft dann die, in den Zeiten der Unwissenheit im Namen des Rechts begangenen Ausschreitungen.“

763. Bedeutet die Beschränkung der Zahl der mit Todesstrafe belegten Verbrechen einen Fortschritt in der Zivilisation?

„Kannst du zweifeln? Sträubt sich dein Geist nicht bei den Berichten über die Menschenschlächtereien, die einst im Namen der Gerechtigkeit, ja oft zur größeren Ehre Gottes vorgenommen wurden, bei den Martern, denen man den Verurteilten und selbst schon den Angeklagten unterzog, um ihm durch ein Übermaß von Schmerzen das Geständnis eines Verbrechens zu entreißen, das er oft nicht einmal begangen hatte? Wohlan, hättest du zu jener Zeit gelebt, du hättest das alles ganz natürlich gefunden und du selbst hättest als Richter genau dasselbe getan. So erscheint das, was zu einer Zeit als gerecht erschien, zu einer anderen Zeit als barbarisch. Die göttlichen Gesetze allein sind ewig, die menschlichen ändern sich mit dem Fortschritt und sie werden fortfahren sich zu ändern, bis sie sich mit den göttlichen decken.“

764. Jesus hat gesagt: „Wer mit dem Schwert getötet hat, wird mit dem Schwert umkommen.“ Enthalten diese Worte nicht eine Bestätigung des Rechts der Wiedervergeltung und ist der über den Mörder verhängte Tod nicht eine Anwendung dieses Rechts?

„Habt Acht, ihr missversteht diese Worte wie so manche andere. Das Wiedervergeltungsrecht ist die Gerechtigkeit Gottes: Er ist es, der davon Gebrauch macht. Ihr alle erleidet in jedem Augenblick diese Strafe, denn ihr werdet mit dem gestraft, worin ihr gesündigt habt, sei es in diesem oder in einem anderen Leben. Wer seinesgleichen leiden ließ, wird in eine Lage versetzt werden, wo er selbst das zu leiden haben wird, was er anderen hatte leiden lassen. Das ist der Sinn jener Worte Jesu. Aber hat er euch nicht auch gesagt: „Vergebet euren Feinden“ und hat er euch nicht gelehrt, Gott zu bitten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“, d.h. in dem Maße als ihr werdet vergeben haben. Versteht das wohl.“

765. Was ist von der im Namen Gottes ausgesprochenen Todesstrafe zu halten?

„Das heißt, sich in der Gerechtigkeit an Gottes Stelle setzen. Wer so handelt, beweist, wie weit er noch von der Erkenntnis Gottes entfernt ist und dass er noch vieles zu sühnen hat. Die Todesstrafe ist ein Verbrechen, wenn sie im Namen Gottes verhängt wird und die, welche sie aussprechen, sind derselben als ebenso vieler Morde schuldig.“