Das Buch der Geister

Allan Kardec

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KAPITEL II
ALLGEMEINE ELEMENTE DES UNIVERSUMS

1. Erkenntnis des Prinzips der Dinge. – 2. Geist und Materie (Stoff).
– 3. Eigenschaften des Stoffes. – 4. Universum.


Erkenntnis des Prinzips der Dinge.

17. Ist es dem Menschen vergönnt, das Grundwesen der Dinge zu erkennen?

„Nein, Gott will nicht, dass dem Menschen hier auf Erden alles offenbar werde.“

18. Wird der Mensch eines Tages in die Geheimnisse der ihm verborgenen Dinge eindringen?

„Der Schleier wird sich für ihn erheben, je nachdem er sich reinigt. Indessen, um gewisse Dinge zu verstehen, benötigt er Fähigkeiten, welche er noch nicht besitzt.“

19. Vermag der Mensch nicht mit Hilfe der Wissenschaft in einige Geheimnisse der Natur zu dringen?

„Die Wissenschaft wurde ihm gegeben zum Zweck seines Fortschrittes in allen Dingen; er vermag aber nicht die ihm von Gott gesteckten Grenzen zu durchbrechen.“

Je tiefer es dem Menschen in jene Geheimnisse einzudringen vergönnt ist, desto größer soll seine Bewunderung sein gegenüber der Macht und Weisheit des Schöpfers. Aber seine Verstandeskraft selbst macht ihn oft, sei es aus Hochmut, sei es aus Schwachheit, zum Spielzeug seiner Einbildungen: er türmt Systeme auf Systeme und jeder Tag zeigt ihm, wie viele Irrtümer er für Wahrheiten gehalten und wie manche Wahrheit er als Irrtum verworfen hatte. Das sind weitere Enttäuschungen für seinen Hochmut.

20. Ist es dem Menschen außerhalb der Untersuchungen der Wissenschaft vergönnt, Mitteilungen höherer Art über das, was dem Zeugnis seiner Sinne entgeht, zu empfangen?

„Ja, wenn Gott es für nützlich erachtet, so kann er Dinge offenbaren, welche die Wissenschaft nicht zu erkennen vermag.“

Aus diesen Mitteilungen schöpft der Mensch innerhalb gewisser Grenzen die Kenntnis seiner Vergangenheit und seiner künftigen Bestimmung.

Geist und Materie (Stoff).

21. Ist der Stoff (die Materie) sowie Gott von Ewigkeit her oder ist er von Gott zu irgendeiner Zeit geschaffen worden?

„Das weiß nur Gott allein. Jedoch gibt es etwas, was die Vernunft euch sagen muss, nämlich dass Gott, das Urbild der Liebe, nie untätig gewesen ist. Soweit ihr auch den Anfang seiner Tätigkeit zurückverlegen mögt, könnt ihr ihn euch auch nur eine Sekunde in Untätigkeit vorstellen?“

22. Man definiert allgemein den Stoff als das, was Ausdehnung besitzt, was Eindruck auf unsere Sinne macht, was undurchdringlich ist. Sind diese Definitionen genaau?

„Von eurem Standpunkt aus sind sie es, weil ihr eben nur so redet, wie ihr es versteht. Aber der Stoff existiert auch in Zuständen, die euch unbekannt sind. Er kann z. B. so fein und ätherisch sein, dass er gar keinen Eindruck auf eure Sinne macht; dennoch ist es stets der Stoff, obgleich es für euch keiner ist.“

22a. Was für eine Definition könnt ihr über den Stoff geben?

„Der Stoff ist das Band, das den Geist bindet, ist das Werkzeug, das ihm dient und auf das er zugleich seinen Einfluss ausübt.“

Unter diesem Gesichtspunkt kann man sagen, dass der Stoff das Agens ist, auf welches und mittelst dessen der Geist wirkt.

23. Was ist der Geist?

„Das intelligente Prinzip des Universums.“

23a. Was ist das innerste Wesen des Geistes?

„In eurer Sprache ist der Geist nicht leicht zu zergliedern. Für euch ist er nichts, weil er nicht mit Händen gegriffen werden kann. Für uns aber ist er etwas. Wisst es wohl: Nichts ist das Nichts und das Nichts existiert nicht.“

24. Ist Geist gleichbedeutend mit Intelligenz?

„Die Intelligenz ist eine wesentliche Eigenschaft des Geistes; aber beide fließen in einem gemeinschaftlichen Prinzip ineinander, so dass sie für euch beide eine und dieselbe Sache sind.“

25. Ist der Geist unabhängig vom Stoff, oder ist er nur eine Eigenschaft desselben, sowie die Farben Eigenschafen des Lichtes und der Schall eine Eigenschaft der Luft ist?

„Beide sind voneinander verschieden, aber es bedarf der Vereinigung des Geistes und des Stoffes, um letzteren intelligent zu machen.“

25a. Ist diese Vereinigung ebenso notwendig für die Äußerung des Geistes? (Wir verstehen hier unter Geist das Prinzip der Intelligenz, abgesehen von den mit diesem Namen bezeichneten Individualitäten.)

„Für euch ist sie notwendig, weil ihr nicht so veranlagt seid, dass ihr den Geist ohne den Stoff erkennen könntet; eure Sinne sind nicht dazu geschaffen.“

26. Kann man den Geist ohne Stoff erkennen und den Stoff ohne den Geist?

„Das kann man ohne Zweifel durch das Denken.“

27. So gäbe es also zwei allgemeine Elemente des Universums, den Stoff und den Geist?

„Ja, und über dem allem Gott, der Schöpfer, der Vater aller Dinge; diese drei Dinge sind das Prinzip von allem was existiert, die universelle Dreieinigkeit. Aber zu dem stofflichen Element kommt noch hinzu das universelle Fluidum, das die Vermittlerrolle zwischen Geist und Stoff im engeren Sinn spielt, welcher letztere zu grob ist, als dass der Geist einen Einfluss auf ihn ausüben könnte. Obwohl man es, von einem gewissen Standpunkt aus auch zum Stoff rechnen kann, unterscheidet es sich doch durch seine besonderen Eigenschaften. Wäre es in positiver Weise Stoff, so bestände kein Grund, dass der Geist es nicht ebenfalls wäre. Dieses Fluidum steht in der Mitte zwischen Geist und Stoff; es ist ebenso ein Fluidum, wie der Stoff der Stoff ist, und es vermag mittelst seiner ungezählten Verbindungen mit letzterem und unter dem Einfluss des Geistes die unendliche Mannigfaltigkeit der Dinge hervorzubringen, von der euch nur ein kleiner Teil bekannt ist. Dieses allgemeine oder uranfängliche oder elementare Fluidum ist, als Wirkungsmittel des Geistes, das Prinzip, ohne das der Stoff sich in einem fortwährenden Zustand der Verteilung befände und nie die ihm von der Schwere verliehenen Eigenschaften erlangen würde.“

27a. Ist dies das Fluidum, das wir mit dem Namen Elektrizität bezeichnen?

„Wir sagten, dass es unzähliger Verbindungen fähig ist; das was ihr elektrisches, magnetisches Fluidum nennt, sind Modifikationen des universellen Fluidums, welches eigentlich nur ein vollkommenerer, feinerer Stoff ist, den man als selbständig betrachten darf.“

28. Da der Geist etwas für sich ist, wäre es dann nicht genauer und weniger missverständlich, diese beiden allgemeinen Ele mente mit den Worten „träger Stoff“ und „intelligenter Stoff“ zu bezeichnen?

„Auf Worte kommt es uns wenig an; an euch ist es, eure Sprache so zu gestalten, dass ihr euch versteht. Eure Uneinigkeiten stammen gewöhnlich nur daher, dass ihr eure Worte nicht richtig zu gebrauchen wisst, weil eure Sprache für Dinge, die nicht sinngefällig sind, unzureichend ist.“

Eine Tatsache herrscht hier offenbar durch alle Hypothesen: wir sehen einen Stoff, der nicht intelligent ist, und andererseits ein intelligentes Prinzip, das vom Stoff unabhängig ist. Ursprung und Verbindung dieser beiden bleiben uns unbekannt. Ob sie eine gemeinsame Quelle, notwendige Berührungspunkte haben oder nicht; ob die Intelligenz ein selbständiges Dasein führt, oder ob sie nur eine Eigenschaft, eine Wirkung ist; ja, ob sie wie einige meinen, ein Ausfluss der Gottheit ist, das alles wissen wir nicht. Sie erscheinen uns verschieden und darum nehmen wir an, sie bilden zwei Grundprinzipien des Universums. Überall dem erblicken wir eine alle anderen Intelligenzn beherrschende und leitende Intelligenz, die sich von jenen durch wesentliche Eigenschaften unterscheidet. Diese höchste Intelligenz ist es, welche man Gott nennt.

Eigenschaften des Stoffes.

29. Ist die Wägbarkeit eine wesentliche Eigenschaft des Stoffes?

„Des Stoffes, wie ihr ihn versteht, ja; aber nicht des Stoffes als universelles Fluidum. Der ätherische, feine Stoff, der dieses Fluidum bildet, ist für euch unwägbar und doch nicht minder das Prinzip eures schweren Stoffes.“

Die Schwere ist eine relative Eigenschaft: außerhalb des Gebietes der Anziehungskraft der Welten gibt es kein Gewicht, so wenig, als es dort ein Oben oder Unten gibt.

30. Besteht der Stoff aus einem einzigen oder aus mehreren Elementen?

„Es gibt nur ein einziges Urelement. Die Körper, die ihr für einfache haltet, sind keine wahren Elemente, sondern nur Verwandlungen des Urstoffes.“

31. Woher kommen die verschiedenen Eigenschaften der Materie?

„Sie sind Modifikationen, welche den elementaren Molekülen durch ihre Verbindung und unter gewissen Umständen widerfahren.“

32. Demnach wären die verschiedenen Geschmäcke, Gerüche, Farben, Töne, giftigen oder heilsamen Eigenschaften der Körper nur Modifikationen einer und derselben Ursubstanz?

„Ja, ohne Zweifel, und sie existieren nur durch die Empfänglichkeit der Organe, auf welche sie wirken.“

Dieses Prinzip wird durch die Tatsache erwiesen, dass nicht jederman die Qualitäten der Körper auf dieselbe Weise wahrnimmt. Der Eine findet eine Sache für seinen Geschmack angenehm, der Andere unangenehm; die Einen sehen blau, was Andere rot sehen; was den Einen Gift ist, ist Anderen unschädlich, ja heilsam.

33. Ist ein und derselbe Elementarstoff fähig, alle Veränderungen einzugehen und alle Eigenschafte anzunehmen?

„Ja, und das soll man unter unserem Satz, dass Alles in Allem ist, verstehen.“ *

Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, überhaupt alle sogennanten einfachen Stoffe sind nur Modifikationen des einen Urstoffes. Da wir nur vermittelst des Denkens zu dem Begriff dieses Urstoffes gelangen können, so sind jene Körper für uns einstweilen wirkliche Urstoffe oder Elemente und wir dürfen sie, ohne dass es weiter etwas auf sich hat, als solche bis auf weiteres betrachten.

33a. Diese Theorie scheint denjenigen Recht zu geben, welche im Stoff nur zwei Eigenschaften erkennen: Kraft, Bewegung, und denen alle anderen Eigenschaften nur Nebenwirkungen sind, die je nach dem Grad der Kraft und der Richtung der Bewegung wechseln?

„Diese Ansicht ist richtig. Nur muss man noch hinzufügen: je nach der Verteilung der Moleküle, wie du es z.B. bei einem undurchsichtigen Körper siehst, der durchsichtig werden kann, und umgekehrt.“

34. Haben die Moleküle eine bestimmte Form?

„Ohne Zweifel haben sie eine Form, aber keine für euch fassbare.“

34a. Ist diese Form sich gleichbleibend oder veränderlich?

„Sich gleichbleibend bei den ursprünglichen Elementar-Molekülen, veränderlich bei den sekundären Molekülen, die selbst nur Anhäufungen der ersteren sind; denn was ihr Moleküle nennt, ist noch weit entfernt vom Elementar-Molekül.“


* Dieses Prinzip erklärt die allen Magnetiseuren bekannte Erscheinung: durch den Willen einem beliebigen Stoff, z. B. dem Wasser sehr verschiedene Eigenschaften zu verleihen: einen bestimmten Geschmack, ja selbst aktive Qualitäten anderer Substanzen. Da es nur ein Grundelement gibt und die Eigenschaften der verschiedenen Körper nur Modifikationen dieses Elementes sind, so folgt daraus, dass die unschädlichste Substanz dasselbe Prinzip in sich birgt, wie die tödlichste. So wird das Wasser, das aus 1 Teil Sauerstoff und 2 Teilen Wasserstoff besteht, ätzend, wenn man den Bestandteil des Sauerstoffs verdoppelt. Eine ähnliche Verwandlung bringt eine vom Willen geleitete magnetische Behandlung hervor. (Anmerkung von Allan Kardec.)


Universum.

35. Ist das Universum unendlich oder begrenzt? „Unendlich. Angenommen, es habe Grenzen, was wäre dann außerhalb derselben? Das verwirrt dein Denken, ich weiß es wohl, und doch sagt dir dein Denken, dass es nicht anders sein kann. Ebenso verhält es sich mit dem Unendlichen in Allem; in eurer kleinen Sphäre könnt ihr es nun einmal nicht fassen.“

Nimmt man eine Grenze des Raumes an, wenn auch so weit weg als der Gedanke es nur fassen mag, so sagt die Vernunft, dass es jenseits der Grenze etwas gibt und so immer weiter und weiter ins Unendliche; denn jenes etwas, und wäre es absolut leerer Raum, würde wieder Raum sein.

36. Existiert der absolute leere Raum irgendwo im Universum?

„Nein, nichts ist leer. Was für dich leer ist, ist von einem Stoff erfüllt, den du mit deinen Sinnen und Werkzeugen nicht fassen kannst.”