Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Fortschritt der Geister

114. Sind die Geister von Natur gut oder böse, oder sind es dieselben Geister, die sich allmählich bessern?
„Das Letztere: indem sie sich bessern, steigen sie aufwärts von einer Stufe zur anderen.“


115. Sind die einen Geister gut, die anderen böse geschaffen worden?
„Gott schuf alle Geister einfach und unwissend, d.h. ohne Wissen. Er gab einem jeden eine Berufung, um ihn heranzubilden und ihn durch Erkenntnis der Wahrheit Schritt für Schritt zur Vollendung zu führen und ihn sich näher zu bringen. Die ewige und ungemischte Glückseligkeit liegt für sie in dieser Vollendung. Die Geister eignen sich diese Erkenntnisse an; indem sie die ihnen von Gott auferlegten Prüfungen durchmachen. Die einen nehmen dieselben mit Ergebung an und gelangen schneller ans Ziel ihrer Bestimmung; andere unterziehen sich denselben nur mit Murren und bleiben so durch ihren eigenen Fehler fern von der Vollendung und dem verheißenen Glück.“


115a. Demnach scheinen die Geister bei ihrer Entstehung gleich den Kindern unwissend und unerfahren zu sein, würden aber allmählich die ihnen mangelnden Kenntnisse beim Durchschreiten der verschiedenen Phasen des Lebens sich erwerben?
„Ja, der Vergleich trifft zu: Das widerspenstige Kind bleibt unwissend und unvollkommen; es gedeiht mehr oder weniger, je nach seiner Gelehrigkeit. Aber des Menschen Leben nimmt ein Ende und das der Geister dehnt sich aus in die Unendlichkeit.“


116. Gibt es Geister die ewig auf der unteren Stufe bleiben werden?
„Nein, alle werden einst vollkommen sein. Sie ändern sich, aber das dauert lange. Denn, wie wir schon einmal sagten, ein gerechter und barmherziger Vater kann seine Kinder nicht ewig von sich stoßen. Möchtest du denn, dass der so große, so gute und gerechte Gott weniger gut sei, als eure Väter es sind?“



117. Liegt es in der Macht der Geister, ihren Fortschritt zu beschleunigen?
„Gewiss. Sie gelangen mehr oder weniger schnell zum Ziel je nach ihrer Sehnsucht und ihrer Unterwerfung unter den Willen Gottes. Schreitet ein gelehriges Kind nicht schneller fort, als ein widerspenstiges?“


118. Können die Geister degenerieren?
„Nein, je weiter sie fortschreiten, desto mehr sehen sie ein, was sie von der Vollendung entfernte. Hat der Geist eine Prüfung bestanden, so hat er die Erkenntnis davon und er vergisst sie nicht mehr. Er kann stehen bleiben, aber nicht rückwärts schreiten.“


119. Konnte Gott die Geister nicht von den Prüfungen entbinden, die sie bestehen müssen, um zur ersten Stufe zu gelangen?
„Wären sie vollkommen geschaffen worden, so hätten sie kein Verdienst, die Wohltaten der Vollendung zu genießen. Gäbe es denn ein Verdienst ohne Mühen? Übrigens bedingt ihre Ungleichheit auch ihre Persönlichkeit und endlich liegt die Sendung, die sie auf den verschiedenen Stufen zu erfüllen haben, in den Plänen der Vorsehung zum Zweck der Harmonie des Universums.“

Da im gesellschaftlichen Leben alle Menschen zu den obersten Ämtern gelangen können, so könnte man ebenso gut fragen, warum der Souverän eines Landes nicht aus allen seinen Soldaten Generäle macht, warum nicht alle Angestellte Vorgesetzte werden, warum nicht alle Schüler Professoren sind. Nun besteht aber der Unterschied zwischen dem Leben der Gesellschaft und dem der Geister, dass das erstere beschränkt ist und nicht immer gestattet, alle Stufen zu ersteigen, während das letztere kein Ende nimmt und jedem die Möglichkeit darbietet, sich zur höchsten Stufe zu erheben.



120. Gehen alle Geister durch die Schule des Bösen, um zum Guten zu gelangen?
,,Nicht durch die Schule des Bösen, sondern durch die der Un – wissenheit.“


121. Warum gingen einige Geister den Weg des Guten, andere den des Bösen?
„Haben sie nicht ihren freien Willen? Gott schuf keine bösen Geister. Er schuf sie einfach und unwissend, d. h. mit ebenso viel Fähigkeit zum Guten, wie zum Bösen. Die Bösen sind es durch ihren Willen geworden.“


122. Wie können die Geister bei ihrer Entstehung, wo sie noch kein Selbstbewusstsein haben, eine Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse besitzen? Liegt in ihnen ein Prinzip, irgendeine Neigung, die sie eher auf den einen als auf den anderen Weg führt?
„Der freie Wille entwickelt sich in dem Maße, wie der Geist sich ein Selbstbewusstsein erwirbt. Es gäbe keine Freiheit mehr, wenn die Wahl durch eine vom Willen des Geistes unabhängige Ursache herbeigeführt würde. Die Ursache liegt nicht in ihm, sondern außerhalb von ihm, in Einwirkungen, denen er Kraft seines freien Willens nachgibt. Das ist das große Bild vom Sündenfall und der Erbsünde: Die einen unterlagen der Versuchung, die anderen widerstanden.“


122a. Woher kommen die Einwirkungen von außen?
,,Von den unvollkommenen Geistern, die sich seiner zu bemächtigen, ihn zu beherrschen suchen und die sich freuen, wenn sie ihn zu Fall bringen können. Das wollte man mit der Gestalt des Satans ausdrücken.“


122b. Findet diese Einwirkung auf den Geist nur bei seiner Entstehung statt?

„Sie folgt ihm in seinem Geisterleben, bis er soviel Herrschaft über sich selbst errungen hat, dass die Bösen darauf verzichten, ihn zu quälen.“


123. Warum hat Gott zugelassen, dass die Geister den Weg des Bösen gehen können?
„Wie wagst du es, von Gott Rechenschaft über seine Taten zu fordern? Meinst du in seine Pläne eindringen zu können? Dennoch kannst du dir das sagen: die Weisheit Gottes besteht in der Wahlfreiheit, die er einem jeden lässt, denn jedem geschieht nach seinen Werken.“


124. Da es Geister gibt, die von Anbeginn den Weg des rein Bösen, andere die den des rein Guten gehen, so gibt es ohne Zweifel zwischen diesen beiden Extremen Zwischenstufen?
„Ja gewiss, und hierher gehört die große Mehrzahl.“


125. Können die Geister, die den Weg des Bösen einschlugen, einst zum selben Grad von Vollkommenheit gelangen, wie die anderen?
„Ja, die, `Ewigkeiten´ werden jedoch für sie länger dauern.“

Unter dem Wort `Ewigkeiten´ ist die Vorstellung der niederen Geister von der ewigen Dauer ihrer Qualen zu verstehen, weil ihnen nicht gegeben ist, deren Ende zu schauen und weil diese Vorstellung sich bei jeder neuen Prüfung ihnen wieder aufdrängt.


126. Haben die auf die höchste Stufe gelangten Geister, welche das Böse durchgemacht hatten, in den Augen Gottes weniger Verdienst, als die anderen?
„Gott sieht die Verirrten mit demselben Auge an und liebt sie mit demselben Herzen. Sie heißen böse, weil sie unterlegen waren: vorher waren sie nur einfache Geister.“



127. Sind die Geister in ihren intellektuellen Fähigkeiten gleich?

„Sie sind gleich geschaffen; aber da sie nicht wissen, woher sie kommen, so muss die freie Wahl ihren Lauf haben. Sie schreiten mehr oder weniger schnell fort, so wohl intellektuell als moralisch.“

Die von Anbeginn den Weg des Guten einschlagenden Geister sind deswegen keine vollkommenen. Haben sie auch nicht eine schlechte Richtung, so müssen sie sich doch die Erfahrung und die nötigen Kenntnisse sammeln, um zur Vollendung zu gelangen. Wir können sie mit Kindern vergleichen, welche, wie gut auch ihre Natur angelegt ist, sich doch entwickeln und in der Erkenntnis fortschreiten müssen und nicht ohne Übergang von der Kindheit zum reiferen Alter gelangen; nur gibt es, wie wir Menschen haben, die von Kindheit an gut und andere, die böse sind, auch Geister die von Anfang an gut oder böse sind, jedoch mit dem wichtigen Unterschied, dass das Kind ausgeprägte Instinkte hat, während die Geister bei ihrer Entstehung weder böse noch gut sind: sie haben alle Neigungen und nehmen die eine oder die andere Richtung Kraft ihres freien Willens.