Das Buch der Geister

Allan Kardec

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IV
Hätten die uns beschäftigenden Phänomene sich auf die Bewegung von Gegenständen beschränkt, so wären sie, wie gesagt, im Bereich des physischen Wissens geblieben. Dem ist aber nicht so. Sie sollten uns die Spur von sonderbarer Art Tatsachen enthüllen. Man glaubte die Entdeckung zu machen – wir wissen nicht, wer zuerst den Gedanken ausgesprochen hat – , dass der den Gegenständen gegebene Impuls nicht bloß das Produkt einer blinden mechanischen Kraft wäre, sondern, dass bei dieser Bewegung eine intelligente Ursache im Spiele sein müsste. Nachdem sich dieser neue Weg geöffnet hatte,sah man sich auf ein ganz neues Beobachtungsfeld versetzt, es war das ein von vielen Geheimnissen hinweggezogener Schleier. Gibt es in der Tat eine intelligente Kraft? Dies ist die Frage. Wenn diese Kraft existiert, was ist es für eine, welches ist ihr Wesen, ihr Ursprung? Steht sie über der Menschheit? Das sind die anderen Fragen, die aus der ersten fließen.


Die ersten intelligenten Manifestationen fanden mittels der Tische statt indem sich diese hoben und durch Aufstoßen mit einem Fuß eine bestimmte Anzahl Schläge gaben und so auf eine gestellte Frage je nach Übereinkunft mit ja oder nein antworteten. Allerdings lag darin für Skeptiker nichts Überzeugendes: denn dies alles konnte eine Wirkung des Zufalls sein. Später erhielt man durch die Buchstaben des Alphabets vollständigere Antworten: indem der bewegliche Gegenstand durch eine bestimmte Anzahl von Stößen auf einen bestimmten Buchstaben innerhalb des Alphabets hinwies, gelang es, Worte und Sätze als Antwort auf gestellte Fragen herauszubringen. Die Richtigkeit dieser Antworten, ihre korrekte Beziehung zur Frage erregten Erstaunen. Das geheimnisvolle Wesen, welches in solcher Weise antwortete, erklärte auf Befragen in Betreff seiner Natur, dass es ein Geist oder Genius wäre, gab sich einen Namen und lieferte mannigfache Auskünfte über sich. Dieser Umstand verdient ganz besondere Beachtung. Niemand hätte sich vorstellen können, das Phänomen mit Hilfe der Geister erklären zu können; das Phänomen selbst enthüllt das Wort. Gar oft werden in den exakten Wissenschaften als Erklärungsbasis Hypothesen aufgestellt: hier ist dies keineswegs der Fall.


Dieses Korrespondenzmittel war lang und unbequem. Der Geist – man beachte auch diesen Umstand sorgfältig – gab ein anderes an. Es war eines dieser unsichtbaren Wesen, welches den Rat gab, an ein Körbchen oder sonst einen Gegenstand, einen Bleistift anzubringen. Dieses Körbchen wurde auf einen Bogen Papier gestellt und durch die gleiche verborgene Macht, welche die Tische dreht, in Bewegung gesetzt; nur zeichnet der Bleistift anstatt einer regelmäßigen Bewegung von selbst Charaktere, die ihrerseits Worte, Sätze, ja ganze Abhandlungen von mehreren Seiten ergaben über die höchsten Fragen der Philosophie, der Moral, Metaphysik, Psychologie usw. und zwar mit eben solcher Geschwindigkeit, als würde mit der Hand geschrieben.


Dieser Rat wurde gleichzeitig in Amerika, in Frankreich und in verschiedenen anderen Ländern gegeben. Wir lassen hier den Wortlaut folgen, in welchem der Rat in Paris, den 10. Juni 1853, einem der feuereifrigsten Adepten der Lehre, der sich schon mehrere Jahre lang (seit 1849) mit dem Anrufen von Geistern beschäftigt hatte, erteilt wurde: „Gehe in das Zimmer nebenan und nimm das kleine Körbchen; befestige daran einen Bleistift; stelle es auf das Papier; lege die Finger an den Rand.“ Einige Augenblicke darauf geriet das Körbchen in Bewegung und der Bleistift schrieb ganz leserlich folgenden Satz: „Was ich dir hier sage, das verbiete ich dir, weiter zu sagen; das nächste Mal, wo ich wieder schreiben werde, werde ich besser schreiben.“


Da der Gegenstand, an welcher man den Bleistift befestigt, nur ein Instrument ist, sind seine natürliche Beschaffenheit und Gestalt völlig gleichgültig. Man hat die handlichste Lage zu gewinnen gesucht. So z.B. bedienen sich manche eines kleinen Brettchens.


Korb wie Brettchen können nur unter dem Einfluss gewisser Personen in Bewegung gesetzt werden, die in dieser Beziehung mit einer speziellen Fähigkeit ausgestattet sind und die man als Medien, d. h. Mittel, Vermittler zwischen den Geistern und den Menschen bezeichnet. Die Bedingungen, die diese spezielle Fähigkeit auslösen, beruhen auf physiologischen und moralischen Ursachen, die bis jetzt nur unvollkommen bekannt sind. Denn man findet Medien jedes Alters, jedes Geschlechtes und auf allen intellektuellen Entwicklungsformen. Übrigens kann die Fähigkeit durch Übung weiter entwickelt werden.