Das Buch der Geister

Allan Kardec

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933. Wenn der Mensch oft der Schmied seines eigenen materiellen Unglücks ist, ist er es auch bei seinen moralischen Leiden?
„Nur noch mehr, denn die materiellen Leiden sind zuweilen vom Willen unabhängig. Aber verletzter Stolz, enttäuschter Ehrgeiz, die Angst des Geizhalses, Neid, Eifersucht, kurz alle Leidenschaften sind Qualen der Seele selbst.

Neid und Eifersucht! Glücklich derjenige, welcher diese beiden nagenden Würmer nicht kennt! Für den Neidischen und Eifersüchtigen gibt es keinen Frieden, keine denkbare Ruhe. Die Gegenstände seiner Begehrlichkeit, seines Hasses, seines Ärgers, erheben sich vor ihm gleich Gespenster, die ihn ohne Rast und Ruhe bis in seine Träume verfolgen. Er befindet sich in einem beständigen Fieber. Ist das nun etwa ein wünschenswerter Zustand und seht ihr nicht ein, dass sich der Mensch mit seinen Leidenschaften freiwillig die größten Strafen auferlegt und die Erde eine wahre Hölle für ihn wird?“


Mehrere Ausdrücke bezeichnen die Wirkungen gewisser Leiden – schaften mit lebhaften Farben. Man sagt: Vor Hochmut aufgeblasen sein, vor Neid bersten, vor Eifersucht oder Ärger platzen, Hunger und Durst darüber verlieren usw. Die Bilder sind nur zu wahr. Zuweilen hat die Eifersucht nicht einmal einen bestimmten Gegenstand. Es gibt Leute, die von Natur auf alles eifersüchtig sind, was sich über das Gemeine emporhebt, selbst wenn sie daran gar kein unmittelbares Interesse haben, sondern einzig und allein weil sie sich nicht selbst so hoch erheben können. Alles was sich über ihren Horizont erhebt, verdrießt sie, und hätten sie in der Gesellschaft die Mehrheit, würden sie alles versuchen zu sich herunterzuziehen. Das ist die, mit der Mittelmäßigkeit verbundene Eifersucht. Der Mensch ist oft nur wegen der Wichtigkeit unglücklich, die er den Dingen dieser Welt beilegt. Getäuschte Eitelkeit, Ehrgeiz, Begehrlichkeit machen sein Unglück. Erhebt er sich dagegen über den engen Kreis des stofflichen Lebens, richtet er seine Gedanken auf das Unendliche, das seine Bestimmung ist, dann erscheinen ihm die Widrigkeiten des Leben als kleinlich und kindisch, wie die Kümmernisse des Kindes, welches sich über den Verlust eines Spielzeuges nicht trösten kann, das sein höchstes Glück für dasselbe gewesen ist.


Wer das Glück nur in der Befriedigung seines Hochmuts und seiner groben Begierden erblickt, ist unglücklich, wenn er zu jener nicht gelangt, während dagegen der, welcher vom Überfluss nichts verlangt, mit dem glücklich und zufrieden ist, was andere als Entbehrungen betrachten.


Wir sprechen vom zivilisierten Menschen; denn der Wilde hat beschränktere Bedürfnisse und kennt nicht dieselben Gegenstände der Begehrlichkeit und der Ängste. Seine Anschauungsweise ist eine ganz andere. Im zivilisierten Zustand denkt der Mensch über sein Unglück nach und zergliedert es; darum wirkt es stärker auf ihn ein; er kann aber auch über die Trostmittel nachdenken und sie sich einzeln zu Gemüte führen. Diesen Trost zieht er aus dem christlichen Gefühl, das ihm Hoffnung auf eine bessere Zukunft und aus dem Spiritismus, der ihm die Gewissheit dieser Zukunft verbürgt.