Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Auferstehung des Fleisches

1010. Ist der Glaubenssatz von der Auferstehung des Fleisches die religiöse Bestätigung der von den Geistern gelehrten Reinkarnation?
„Was sollte es anderes sein? Es ist mit diesen Worten wie mit so vielen anderen, die in den Augen gewisser Leute nur deshalb vernunftwidrig erscheinen, weil man sie buchstäblich nimmt, und sie dann zum Unglauben führen. Gebt ihnen dagegen eine vernünftige Auslegung und die sogennanten Freidenker werden sie ohne Schwierigkeit annehmen, weil sie denken. Denn täuscht euch nicht, diese Freidenker wünschen nichts so sehr als glauben zu können. Sie haben so gut wie die anderen, vielleicht noch mehr als andere, einen Durst nach dem Zukünftigen, können aber nicht zugeben, was von der Wissenschaft bestritten ist. Die Lehre von der Vielheit der Existenzen entspricht der Gerechtigkeit Gottes: Sie allein erklärt, was ohne sie unerklärlich bleibt; warum sollte nun ihr Prinzip nicht in der Religion liegen?“


1010-a. Also lehrt die Kirche selbst mit dem Glaubenssatz von der Auferstehung des Fleisches die Reinkarnation? *
„Offenbar; diese Lehre ist übrigens die Folgerung aus manchen Dingen, die man unbemerkt hingehen ließ und die jetzt erst in diesem Sinn aufgefasst werden. Die Zeit ist nicht fern, wo man anerkennen wird, dass der Spiritismus auf Schritt und Tritt aus dem Wortlaut der heiligen Schriften selbst hervorgeht. Die Geister kommen also nicht, die Religion umzustürzen, wie einige behaupten, sie kommen vielmehr sie zu bestätigen und durch unverwerfliche Beweise wieder aufzurichten. Da aber die Zeit gekommen ist, wo man nicht mehr in Bildern spricht, so drücken sie sich ohne Bilder aus und geben den Dingen einen klaren und deutlichen Sinn, der keiner falschen Auslegung zugänglich ist. Darum eben werdet ihr nach einiger Zeit mehr aufrichtig religiöse und gläubige Leute haben, als jetzt.“
hl. Ludwig


Die Wissenschaft beweist in der Tat die Unmöglichkeit der Auferstehung nach der gewöhnlichen Vorstellung. Blieben die Überbleibsel des menschlichen Leibes gleichartig, so könnte man, selbst wenn sie zerstreut und in Staub verwandelt würden, ihre Wiedervereinigung in einer gegebenen Zeit noch begreifen: Die Sache verhält sich jedoch nicht so. Unser Leib besteht aus verschiedenen Grundbestandteilen: aus Sauer – , Wasser – , Stick – , Kohlenstoff usw. Durch die Zersetzung zerstreuen sich diese Grundstoffe, aber um zur Bildung anderer Körper zu dienen, so dass dieselben Moleküle von Kohlenstoff z.B. in die Mischung von mehreren Tausenden verschiedener Leiber eingegangen sein wird, – wobei wir nur von menschlichen Körpern reden, ohne alle die Leiber der Tiere mitzurechnen, so dass ferner dieses bestimmte Individuum in seinem Leib vielleicht Moleküle besitzt, die Menschen der ältesten Zeiten angehörten, dass diese gleichen organischen Molekülen, die ihr mit eurer Nahrung in euch aufnehmt, vielleicht vom Leib eines bestimmten anderen Individuums stammen, das ein Bekannter von euch gewesen ist usw. Da die Quantität des Stoffes eine bestimmte, seine Wandlungen aber von unbestimmter Zahl sind, wie sollte da jeder dieser Leiber sich aus den gleichen Grundstoffen wieder ausbilden können? Hier liegt eine tatsächliche Unmöglichkeit vor. Vernünftigerweise kann man also die Auferstehung des Fleisches nur als Sinnbild der Reinkarnation auffassen und dann ist sie nichts die Vernunft beleidigendes, nichts den Resultaten der Wissenschaft widersprechendes.


Jene Auferstehung soll nach der Glaubenslehre allerdings erst am Ende der Zeiten stattfinden, während sie nach der spiritistischen Lehre jeden Tag vor sich geht. Liegt aber nicht auch in jener Vorstellung vom jüngsten Gericht wieder ein großartig schönes Bild, das unter dem Schleier der Allegorie eine jener unabänderlichen Wahrheiten birgt, welche auf keine Zweifler mehr stoßen wird, wenn sie einmal auf ihre wahre Bedeutung zurückgeführt ist? Man denke über die spiritistische Lehre von der Zukunft der Seelen und über ihr aus den verschiedenen von ihnen durchmachenden Prüfungen hervorgehendes Schicksal gründlich nach und man wird erkennen, dass, mit Ausnahme der Gleichzeitigkeit, dasselbe verdammende oder freisprechende Gericht keine Erdichtung ist, wie die Ungläubigen wähnen. Wir fügen schließlich noch hinzu, dass sie eine natürliche Folgerung aus der Vielheit der Welten ist, welche heute vollständig anerkannt wird, während nach der Lehre vom jüngsten Gericht die Erde als die einzige bewohnte Welt vorausgesetzt wird.


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* Als die 2.Auflage des Buches der Geister in französischer Sprache (1860) zum zweiten Mal gedruckt wurde, folgte nach der Anwort auf die Frage 1010 die Frage 1012. Dies hatte zur Folge, dass die 2. Auflage 1019 Fragen hatte und nicht 1018, wie bei der ersten Ausgabe. Es ist anzunehmen, dass es sich hier um einen Fehler der Revision handelt, der während Allan Kardecs Lebzeiten unbemerkt geblieben ist. Es ist sicher im Sinne Allan Kardecs, dass dieser Fehler behoben wird. Da die gegenwärtige Übersetzung sich auf den zweiten Druck der 2. Auflage stützt und weil es uns wichtig ist, dass Fragen und Antworten einem logischen und sinnvollen Ablauf folgen, wurde die Frage 1010, die eine zweite Frage beinhaltet, aufgeteilt und neu die Frage Nummer 1011 eingefügt. Somit beinhaltet das Buch der Geister 1019 Fragen. (Anmerkung der Übersetzer)