Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Von der Seele


134. Was ist die Seele?
,,Ein inkarnierter Geist.“


134a. Was war sie, bevor sie sich mit dem Leib vereinigte?
,, Geist.“


134b. Die Seele und die Geister sind also identisch, d.h., ein und dasselbe?
„Ja, die Seelen sind nur Geister. Die Seele ist, bevor sie sich mit dem Leib vereinigt, eines der intelligenten Wesen, die die unsichtbare Welt bevölkern und zeitweise eine fleischliche Hülle annehmen, um sich zu reinigen und zu erleuchten.“



135. Gibt es im Menschen noch etwas anderes, als Seele und Leib?
„Das Band, das Seele und Leib verbindet.“


135a. Was ist die Natur dieses Bandes?
„Es ist halbstofflich, d.h. ein Mittelding zwischen Geist und Körper. Und so ist es notwendig, damit die beiden miteinander verkehren können. Durch dieses Band wirkt der Geist auf den Stoff und umgekehrt.“
So besteht der Mensch aus 3 wesentlichen Teilen: 1. dem Leib, einem den Tieren analogen stofflichen und von demselben Lebensprinzip beseelten Wesen, 2. der Seele, dem inkarnierten Geist, dessen Wohnung nun der Leib ist, und. 3. dem vermittelnden Prinzip oder Perispirit, einer halbstofflichen Substanz, die dem Geist als nächste Hülle dient und Seele und Leib verbindet. So besteht eine Frucht aus Keim, Samenhülle und Schale.


136. Ist die Seele unabhängig vom Lebensprinzip?
„Der Leib ist nur die Hülle, wir wiederholen es nochmal.“


136a. Kann der Leib ohne die Seele existieren?
„Ja, und dennoch verlässt ihn die Seele, sobald er zu leben aufhört. Vor der Geburt ist noch keine endgültige Vereinigung zwischen Seele und Leib vorhanden, während nachdem diese Einigung stattgefunden hat, der Tod des Leibes die Bande, welche diesen mit der Seele verbinden, zerreißt und die Seele ihn verlässt. Das organische Leben kann einen Körper ohne Seele beleben, aber die Seele kann nicht einen Körper ohne organisches Leben bewohnen.“


136b. Was wäre unser Leib, wenn er keine Seele hätte?
,,Eine Fleischmasse ohne Intelligenz, alles mögliche, nur kein Mensch.“


137. Kann sich derselbe Geist in zwei verschiedene Leiber zugleich inkarnieren?

Nein, der Geist ist unteilbar und kann nicht gleichzeitig zwei verschiedene Wesen beseelen.“ (Vergl. ,,Buch der Medien“, Kapitel ,,Doppelleiblichkeit und Verklärung.“*


138. Was ist von der Ansicht zu halten, dass die Seele das Prinzip des stofflichen Lebens sei? „Das ist dein Wortstreit. Wir kümmern uns darum nicht: sucht erst euch selbst zu verstehen.“


139. Gewisse Geister und vor ihnen gewisse Philosophen definieren die Seele: ,,ein seelischer Funke, dem großen Universum entflossen.“ Woher dieser Widerspruch?
„Das ist kein Widerspruch, es ist durch die Bedeutung der Worte bedingt. Warum habt ihr nicht für jedes Ding auch ein Wort?
Das Wort Seele bedeutet sehr verschiedene Dinge. Die einen bezeichnen damit das Lebensprinzip und in diesem Sinn darf man bildlich sagen: die Seele ist ein dem großen Universum entflossener seelischer Funke. Diese Worte bezeichnen die allgemeine Quelle des Lebensprinzips, aus der jedes Wesen seinen Anteil schöpft, der nach dem Tod zur Masse zurückkehrt. Diese Vorstellung schließt keineswegs ein moralisches, besonderes, vom Stoff unabhängiges Wesen aus, das seine Individualität behält. Auch dieses Wesen nennt man Seele und in diesem Sinn kann man sagen, die Seele sei ein inkarnierter Geist. Indem die Geister verschiedene Definitionen von der Seele gaben, redeten sie je nach dem Sinn, den sie dem Wort unterlegten und nach den irdischen Vorstellungen, mit denen sie noch mehr oder weniger behaftet waren. Das bringt die Unzulänglichkeit der menschlichen Sprache mit sich, die nicht für jede Vorstellung ein Wort hat, und daher stammen auch eine Menge von Missverständnissen und Streitereien. Darum raten uns die höheren Geister, uns zunächst über die Wörter zu verständigen.**


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* Allan Kardec hat den Hinweis auf das Buch der Medien erst ab der 6. Auflage (1862) in das Buch der Geister aufgenommen. (Anmerkung der Übersetzer)
** Siehe Einleitung II „Erklärung des Wortes Seele“. (Anmerkung von Allan Kardec)





140. Was soll man von der Theorie denken, welche die Seele in ebenso viele Teile als es Muskeln gibt, einteilt, so dass jeder einer besonderen Funktion des Leibes vorsteht?
„Das hängt wieder davon ab, in welchem Sinn man das Wort Seele versteht. Meint man das Lebensfluidum, so hat man Recht; meint man den inkarnierten Geist, so hat man Unrecht. Wir sagten ja: der Geist ist unteilbar: er überträgt durch das vermittelnde Fluidum die Bewegung auf die Organe, ohne sich deswegen zu teilen.“


140a. Dennoch haben gewisse Geister diese Definition gegeben.
Die unwissenden Geister können die Wirkung für die Ursache nehmen.
Die Seele wirkt durch Vermittlung der Organe und die Organe sind vom Lebensfluidum beseelt, das sich unter sie verteilt, und zwar reichlicher in die, welche Mittelpunkt oder Herde der Bewegung sind. Diese Erklärung gilt nicht für die Seele, da sie der Geist ist, der während seinem irdischen Leben einen physischen Leib bewohnt und ihn nach dem Tod verlässt.


141. Liegt etwas Wahres in der Ansicht, dass die Seele äußerlich sei und den Leib umgibt?
Die Seele ist nicht im Leib eingeschlossen, wie der Vogel im Käfig. Sie strahlt und zeigt sich nach außen, wie das Licht durch eine Glaskugel, oder wie der Schall um einen tönenden Mittelpunkt herum. In diesem Sinn kann man sagen, sie sei äußerlich; aber sie ist deswegen nicht die Hülle des Leibes. Die Seele hat zwei Hüllen: die eine ist fein und leicht, das ist die nächste, der Perispirit, die andere grob, stofflich und schwer, das ist der Leib. Die Seele ist der Mittelpunkt aller dieser Hüllen gleich dem Keim in einem Kern. Wir sagten das schon einmal.“



142. Was soll man von jener anderen Theorie sagen, nach der die Seele sich beim Kind in jedem Lebensabschnitt vervollständigt?
„Der Geist ist nur einer, er ist ganz – beim Kind wie beim Erwachsenen. Die Organe oder Werkzeuge der Manifestationen der Seele sind es, welche sich entwickeln und vervollständigen. Das war wiederum Verwechslung von Ursache und Wirkung.“


143. Warum definieren nicht alle Geister die Seele auf dieselbe Weise?
„Die Geister sind nicht alle gleich unterrichtet über diese Dinge. Es gibt beschränkte Geister, die noch keine abstrakten Dinge verstehen. Das ist wie bei euren Kindern. Auch gibt es pseudogelehrte Geister, die mit Worten prahlen, um zu imponieren: ebenfalls wie bei euch. Endlich können sich auch selbst die unterrichteten Geister in verschiedenen Worten ausdrücken, die im Grund denselben Wert haben, besonders wenn es sich um Dinge handelt, die eure Sprache nicht deutlich auszudrücken fähig ist. Dann bedarf es der Bilder, der Vergleichungen, die ihr für Wirklichkeiten nehmt.“


144. Was ist unter der Weltseele zu verstehen?
„Sie ist das universelle Prinzip des Lebens und der Intelligenz, aus dem die Individualitäten entstehen. Aber die welche sich dieser Worte bedienen, verstehen sie oft selbst nicht. Das Wort Seele ist so dehnbar, dass jeder es nach dem Belieben seiner Träumereien auslegt. Man schrieb zuweilen auch der Erde eine Seele zu. Man muss darunter die Gesamtheit der Geister verstehen, welche eure Handlungen auf den Weg des Guten leiten, wenn ihr auf sie hört, und die gewissermaßen die Stellvertreter Gottes auf eurem Planeten sind.“



145. Wie konnten so viele alte und neuere Philosophen so lange über die Wissenschaft der Psychologie streiten, ohne zur Wahrheit zu gelangen?
„Diese Männer waren die Vorläufer der ewigen spiritistischen Lehre. Sie ebneten die Wege. Sie waren Menschen und konnten sich irren, weil sie ihre eigenen Gedanken für das Licht selbst hielten. Aber sogar ihre Irrtümer bringen die Wahrheit an den Tag, da sie das Für und Wider zeigen. Übrigens finden sich unter jenen Irrtümern große Wahrheiten, die ein vergleichendes Studium auch wird erkennen lassen.“


146. Hat die Seele einen bestimmten, umschriebenen Sitz im Leib?
„Nein, aber sie ist vorzugsweise im Kopf bei den großen Genies, bei allen denen, die viel denken, und vorzugsweise im Herzen bei denen, die stark fühlen und deren sämtliche Handlungen sich auf die Menschheit beziehen.“


146a. Was ist von der Meinung zu halten, welche die Seele in ein Lebenszentrum verlegt?
„Das heißt, dass der Geist eher diesen Teil eures Organismus bewohnt, weil hierher alle Empfindungen einmünden. Wer sie in das angebliche Zentrum der Lebenstätigkeit verlegt, verwechselt sie mit dem Lebensfluidum oder Prinzip. Immerhin kann man sagen, der Sitz der Seele liege vorzugsweise in den Organen, die den intellektuellen und moralischen Ausdrucksweisen dienen.“