Das Buch der Geister

Allan Kardec

Zurück zum Menü
Wesen der zukünftigen Strafen und Freuden

965. Haben die Strafen und Freuden der Seele nach dem Tod auch etwas Stoffliches an sich?
„Sie können nicht stofflich sein, weil die Seele nicht Stoff ist: Das sagt uns die gesunde Vernunft. Diese Strafen und Freuden haben nichts Fleischliches und doch sind sie tausendmal lebhafter als die irdischen, weil der Geist, wenn er einmal befreit ist, eindrucksfähiger ist: Der Stoff stumpft dessen Gefühle nicht mehr ab.“ (237. bis 257.)


966. Warum macht sich der Mensch von den zukünftigen Strafen und Freuden eine oft so rohe und abgeschmackte Vorstellung?
,,Eine noch nicht genügend entwickelte Intelligenz. Versteht das Kind den Erwachsenen? Übrigens hängt dies auch von seinem Unterricht ab: Hier wäre eine Reform nötig. Eure Sprache ist zu unvollständig, um das, was außer euch ist, auszudrücken. Da bedurfte es dann freilich der Vergleichungen und diese Bilder und Figuren nehmt ihr dann für Wirklichkeiten. Je weiter der Mensch aber in der Erkenntnis fortschreitet, desto besser begreift sein Denken die Dinge, die seine Sprache nicht auszudrücken vermag.“


967. Worin besteht die Glückseligkeit der guten Geister?
,,Alle Dinge zu erkennen, keinen Hass, noch Eifersucht, noch Neid oder Ehrgeiz, noch irgendeine der Leidenschaften zu haben, die das Unglück der Menschen bilden. Die sie einigende Liebe ist für sie die Quelle der höchsten Glückseligkeit. Sie empfinden weder die Bedürfnisse noch die Leiden und Ängste des stofflichen Lebens. Sie sind glücklich in dem Tun des Guten; übrigens steht das Glück der Geister immer im Verhältnis zu ihrer Erhöhung. Die reinen Geister genießen allerdings allein die höchste Seligkeit, aber auch alle anderen sind nicht unselig. Zwischen bösen und vollkommenen gibt es eine unendliche Zahl von Stufen, auf denen die Freuden im Verhältnis zu ihrem moralischen Zustand stehen. Die, welche genügend fortgeschritten sind, verstehen das Glück der vor ihnen am Ziel angelangten: Auch sie streben demselben zu. Dies ist für sie aber ein Gegenstand der Nacheiferung, nicht des Neides: Sie wissen, dass es an ihnen liegt, dahin zu gelangen und arbeiten auf dieses Ziel los, jedoch mit der Ruhe eines guten Gewissens und sie sind glücklich nicht das leiden zu müssen, was die bösen Geister erdulden.“


968. Ihr setzt die Abwesenheit der stofflichen Bedürfnisse unter die Zahl der Bedingungen der Seligkeit für die Geister. Ist nun aber nicht die Befriedigung dieser Bedürfnisse für den Menschen eine Quelle von Freuden?

„ Ja, der Freuden des Tieres, und wenn du diese Bedürfnisse nicht befriedigen kannst, so ist dir das eine Qual. “


969. Was soll man darunter verstehen, wenn man sagt, die reinen Geister seien vereinigt in Gottes Schoß und singen ihm Lobgesänge?
„Das ist eine sinnbildliche Darstellung, welche ihre Erkenntnis von der Vollkommenheit Gottes ausmalen soll, die man aber so wenig als manche andere buchstäblich zu nehmen hat. Alles in der Natur, vom Sandkorn an, besingt, d.h. verkündet Gottes Macht, Weisheit und Güte. Glaube jedoch nicht, dass die seligen Geister die ganze Ewigkeit hindurch in Beschaulichkeit aufgehen; das wäre eine einförmige und dumme Seligkeit; es wäre das Glück des Egoisten, indem ihr Dasein ein ewig nutzloses sein würde. Sie haben nicht mehr die Trübsale der leiblichen Existenz: Schon das ist ein Glück; ferner erkennen und wissen sie, wie gesagt, alle Dinge; sie gebrauchen ihre erworbene Intelligenz zur Förderung des Fortschritts der anderen Geister: Das ist ihre Beschäftigung und zugleich ihr Genuss.“


970. Worin bestehen die Leiden der niedrigeren Geister?
„Sie sind so mannigfach wie deren Ursachen und der Stufe ihrer Niedrigkeit gerade so angemessen, wie die Freuden dem Grad der Erhöhung. Sie lassen sich in folgendes zusammenfassen: Neid gegen alles, was ihnen zu ihrem Glück mangelt sowie Ohnmacht es nicht zu erlangen, Anschauung des Glücks, das sie nicht erreichen können, Enttäuschung, Eifersucht, Wut, Verzweiflung über das, was sie an ihrem Glück hindert, Reue, unbeschreibliche moralische Angst. Sie sehnen sich nach allen Genüssen und können keinen befriedigen: Das ist es, was sie quält.“



971. Ist der Einfluss der Geister aufeinander immer ein guter?
,,Immer gut von Seiten der guten Geister, das versteht sich von selbst; die verdorbenen Geister hingegen suchen die, welche sie dafür empfänglich halten und die so oft während des Lebens zum Bösen verleitet hatten, vom Weg des Guten und der Reue abzubringen.“


971a. Also befreit uns der Tod nicht von der Versuchung?
„Nein, aber die Einwirkung der bösen Geister ist gegenüber den anderen Geistern eine viel geringere, als gegenüber den Menschen, weil sie die stofflichen Leidenschaften dort nicht auf ihrer Seite haben.“ (996.)


972. Wie fangen es die bösen Geister an, die anderen Geister in Versuchung zu bringen, da ihnen deren Leidenschaften nicht beistehen können?
„Wenn die Leidenschaften auch nicht mehr stofflich existieren, so stecken sie doch noch in den Gedanken der zurückgebliebenen Geister. Die bösen unterhalten nun diese Gedanken, indem sie ihre Opfer zu den Orten zu locken wissen, wo ihnen der Anblick dieser Leidenschaften selbst alles dessen wird, was sie erregen kann.“


972a. Aber wozu diese Leidenschaften, wo sie ja keinen wirklichen Gegenstand mehr haben?
„Eben das ist ihre Strafe und ihre Qual: Der Geizige sieht Gold, das er nicht besitzen kann, der Wüstling Ausschweifungen, an denen er nicht teilnehmen kann, der Hochmütige Ehren, die er beneidet und die er nicht genießen kann.“


973. Welches sind die größten Qualen, welche die bösen Geister leiden können?
„Es ist unmöglich, die moralischen Qualen zu beschreiben, welche die Strafe gewisser Verbrechen sind. Selbst der, welcher sie erleidet, hätte Mühe euch davon eine Vorstellung zu geben, jedoch die schrecklichste von allen ist gewiss der Gedanke, unwiederbringlich verdammt zu sein.“


Der Mensch bildet sich eine Vorstellung von den Leiden und Freuden nach dem Tod, welche je nach dem Standpunkt seiner Intelligenz eine mehr oder weniger erhabene ist. Je höher er sich entwickelt, desto mehr reinigt und befreit sich ihm diese Vorstellung vom Stoff, er erkennt die Dinge unter einem vernünftigeren Gesichtspunkt, er nimmt die Ausmalungen einer bildlichen Sprache nicht mehr buchstäblich. Die fortgeschrittenere Vernunft lehrt uns, dass die Seele ein durchaus geistiges Wesen ist und dass sie eben deshalb keine solche Eindrücke, die nur auf den Stoff wirken, aufnimmt. Daraus folgt aber keineswegs, dass sie frei sei von Schmerzen und dass sie für ihre Fehler nicht Strafe empfängt. (237.)


Die spiritistischen Mitteilungen führen zu dem Ergebnis, dass sie uns den zukünftigen Zustand der Seele nicht bloß theoretisch, sondern als eine Wirklichkeit zeigen. Sie stellen uns alle Höhen und Tiefen des jenseitigen Lebens vor Augen, zeigen uns aber dieselben zugleich als die durchaus vernunftgemäßen Folgen des irdischen Lebens. Jene Wechselfälle, obgleich hier von den phantastischen Umhüllungen der menschlichen Einbildungskraft befreit, sind deswegen nicht weniger qualvoll für die, welche von ihren Fähigkeiten einen schlechten Gebrauch machten. Die Verschiedenheit dieser Folgen ist eine unendliche, aber als allgemeine Regel kann man den Satz aufstellen: Jeder wird mit dem bestraft, was er gesündigt hat: So die einen mit dem unaufhörlichen Anblick des Unglücks, das sie angerichtet haben, die anderen mit Gewissensbissen, Furcht, Schande, Zweifel, Vereinsamung, Finsternis, Trennung von geliebten, teuren Wesen usw.


974. Woher stammt die Doktrin vom ewigen Feuer?
,,Ein Bild wie so manches andere, das für Wirklichkeit genommen wird.“


974a. Kann aber die Furcht davor nicht gute Folgen haben?

„So siehe doch wie viele sie zurückhält, selbst diejenigen, die sie lehren. Wenn ihr Dinge lehrt, welche die Vernunft später verwerfen muss, so werdet ihr weder einen dauerhaften, noch heilsamen Eindruck hinterlassen.“


Der Mensch, unfähig mit seiner Sprache das Wesen jener Leiden auszudrücken, fand keine treffenderen Vergleich als die mit dem Feuer, als dem Abbild der grausamsten Strafe und dem Sinnbild der gewaltigsten Wirkung. Darum verliert sich der Glaube an das ewige Feuer bis ins höchste Altertum und von den alten Völkern erbten ihn dann die neueren. Darum sagt der Mensch auch in seiner sinnbildlichen Sprache: Das Feuer der Leidenschaften, vor Liebe, aus Eifersucht brennen usw.


975. Erkennen die niedrigen Geister das Glück des Gerechten?
„Ja, und das ist ihre Strafe und ihre Qual; denn sie wissen, dass sie sich durch ihre eigenen Fehler desselben beraubten. Darum strebt der vom Stoff befreite Geist nach einer neuen Existenz, weil jede solche die Dauer dieser Strafe abkürzen kann, wenn sie gut angewandt wird. Dann trifft er seine Wahl unter den Prüfungen, durch die er seine Fehler sühnen kann; denn wisst: Der Geist leidet unter allem Übel, das er getan hat, oder dessen Ursache er freiwillig geworden ist, unter allem Guten, das er hätte tun können und nicht tat und unter allem Übel, das aus dem, von ihm unterlassenen Guten hervorging.
Der wandernde Geist hat keinen Schleier mehr, er ist wie aus dem Übel herausgetreten und sieht nun, was ihn vom Glück scheidet. Dann leidet er noch mehr, denn er erkennt, wie strafbar er gewesen ist. Für ihn gibt es keine Täuschung mehr: Er sieht die Dinge wie sie wirklich sind.“


Der Geist im herumwandernden Zustand überblickt einerseits alle seine früheren Existenzen, andererseits sieht er die ihm versprochene Zukunft und erkennt, was ihm noch fehlt, sie zu erreichen. So sieht der auf der Höhe eines Berges angelangte Reisende seinen zurückgelegten Weg, sowie den vor sich, den er noch zu durchlaufen hat.


976. Ist der Anblick der leidenden Geister nicht eine Ursache des Schmerzes für die Guten und was wird dann aus ihrem Glück, wenn dieses Glück getrübt wird?
„Es ist dies kein Schmerz, weil sie wissen, dass das Übel ein Ende nehmen wird. Sie helfen den anderen bei ihrer Besserung und reichen ihnen die Hand: Das ist ihre Beschäftigung und, wenn es ihnen gelingt, ihre Freude.“


976a. Das versteht sich bei den fremden oder unbeteiligten Geistern; trübt aber nicht der Anblick des Kummers und der Leiden ihrer Lieben auf der Erde ihr Glück?
„Wenn sie diese Leiden nicht sähen, so wären sie euch fremd nach dem Tod. Nun sagt euch aber die Religion, dass die Seelen euch sehen. Sie sehen aber euer Trübsal von einem anderen Gesichtspunkt aus, sie wissen, dass dieselben von Nutzen sind für euren Fortschritt, wenn ihr sie mit Ergebung tragt. Sie betrüben sich also mehr über euren Mangel an Mut, der euch aufhält, als über eure Leiden selbst, die nur vorübergehend sind.“


977. Da die Geister sich ihre Gedanken gegenseitig nicht verbergen können und da all ihr Tun im Leben bekannt ist, so würde daraus folgen, dass der Schuldige in beständiger Gegenwart seines Opfers wäre?
„Das kann auch nicht anders sein, die gesunde Vernunft sagt es uns.“


977a. Ist dieses Bekanntsein all unseres tadelnswerten Tuns und Lassens und die beständige Gegenwart derjenigen, welche die Opfer davon geworden sind, eine Züchtigung für den Schuldigen?

„Eine größere als man glaubt, aber nur für so lange, bis er seine Fehltritte gesühnt hat, sei es als Geist oder als Mensch in neuen leiblichen Existenzen.“


Wenn wir einst selbst in der Welt der Geister sein werden, so wird, da unsere ganze Vergangenheit aufgedeckt vor uns liegt, auch das Gute und das Böse, das wir getan haben, ebenso bekannt sein. Vergeblich wird der Böse dem Anblick seiner Opfer zu entrinnen suchen. Ihre unvermeidliche Gegenwart wird ihm zur Züchtigung und unaufhörlichen Reue dienen, bis er sein Unrecht gesühnt hat, während der Gute im Gegenteil nur freundlichen und wohlwollenden Blicken überall begegnen wird.


Für den Bösen gibt es auf Erden keine größere Qual, als die Gegen – wart seiner Opfer: Darum vermeidet er sie fortwährend. Wie wird ihm nur zumute sein, wenn die Täuschungen der Leidenschaften aufgehoben sind und er das Böse, das er getan hat erkennt, sein geheimstes Treiben enthüllt, seine Heuchelei entlarvt sieht und sich diesem Anblick nicht entziehen können wird? Während die Seele des Lasterhaften die Beute der Schande, der Reue und der Gewissensbisse ist, genießt die des Gerechten eine vollkommene Heiterkeit.


978. Trübt die Erinnerung an die von der Seele damals, als sie noch unvollkommen war, begangenen Fehler nicht ihr Glück, selbst nachdem sie sich gereinigt hat?
„Nein, denn sie hat ihre Fehler wieder gutgemacht und ist siegreich aus den Prüfungen hervorgegangen, die sie sich zu diesem Zweck auferlegte.“


979. Sind nicht die Prüfungen, die noch durchzumachen sind, um die Reinigung zu vollenden, ein Gegenstand schmerzlicher Besorgnis für die Seele, der ihr Glück trüben muss?
„Für die noch befleckte Seele, ja: darum vermag sie kein vollkommenes Glück zu genießen, bis sie ganz rein ist: Aber für die, welche sich schon erhöht hat, hat der Gedanke an ihre noch durchzumachenden Prüfungen nichts Schmerzliches mehr.“



Die zu einem gewissen Grad von Reinheit gelangte Seele kostet schon von der Seligkeit. Das Gefühl einer sanften Befriedigung durchdringt sie, sie ist beglückt von allem, was sie sieht, von allem, was sie umgibt. Der Schleier, der sich über die Geheimnisse und Wunder der Schöpfung breitete, lüftet sich vor ihr und die göttliche Vollkommenheit erscheint ihr in all ihrer Herrlichkeit.


980. Bildet die gegenseitige Sympathie, welche die Geister desselben Ranges einigt, eine Quelle der Seligkeit?
„Die Einigung der dem Guten verpflichtenden Geister ist für sie einer der höchsten Freuden, denn sie haben nicht zu fürchten, dass diese Einigung durch Egoismus könnte getrübt werden. Sie bilden in der geistigen Welt Familien von gleichen Gefühlen und darin eben besteht die geistige Glückseligkeit, wie ihr in deiner Welt euch nach Klassen zusammentut und eine gewisse Freude genießt, wenn ihr vereinigt seid. Die reine und aufrichtige Liebe, die sie füreinander hegen, ist für sie eine Quelle des Glücks, denn es gibt da keine falschen Freunde und keine Heuchler.“


Der Mensch kostet schon auf Erden die Vorfreude dieses Glückes, wenn er Seelen findet, mit denen er in einer reinen und heiligen Vereinigung aufgehen kann. In einem reineren und höheren Leben wird dieser Genuss ein unaussprechlicher und grenzenloser sein, weil er nur sympathischen Seelen begegnen wird, welche der Egoismus nicht erschüttern kann. Denn in der Natur ist alles Liebe: Der Egoismus aber tötet diese.


981. Gibt es für den zukünftigen Zustand des Geistes einen Unterschied zwischen dem, der zu Lebzeiten den Tod fürchtete und dem, der ihn mit Gleichgültigkeit oder selbst mit Freude kommen sieht?
„Der Unterschied kann sehr groß sein, indessen verschwin – det er oft vor den Ursachen, welche diese Furcht oder diesen Wunsch einflößen. Möge man den Tod fürchten oder herbeiwünschen, die Beweggründe können sehr verschieden sein und diese sind es, welche auf den Zustand des Geistes Einfluss üben. So ist es z.B. klar, dass bei dem, der den Tod nur deswegen herbeiwünscht, weil er darin das Ende seiner Trübsale erblickt, es eine Art von Murren gegen die Vorsehung und gegen die durchmachenden Prüfungen ist.“


982. Ist es nötig den Spiritismus offen zu bekennen und an die Manifestationen zu glauben, um uns unser Los im zukünftigen Leben zu sichern?
„Wenn dem so wäre, so müsste daraus folgen, dass alle die, welche nicht glauben oder welche nicht in der Lage waren sich zu unterrichten, enterbt würden und das wäre gegen alle Vernunft. Das Gute sichert das künftige Geschick und das Gute ist aber immer das Gute, welches auch der Weg sei, der zu demselben führt.“ (165. bis 799.)


Der Glaube an den Spiritismus fördert die Besserung, indem er unsere Gedanken auf gewisse Punkte der Zukunft richtet. Er beschleunigt den Fortschritt der Einzelnen und der Massen, indem er uns gestattet, uns Rechenschaft über das zu geben, was wir einst sein werden. Er ist für uns eine Stütze, ein Licht, das uns leitet. Der Spiritismus lehrt uns die Prüfungen mit Geduld und Ergebung zu ertragen. Er hält uns von Dingen ab, die unser zukünftiges Glück verzögern könnten. So trägt er zu diesem Glück bei, womit aber nicht gesagt ist, dass man es nicht auch auf anderem Weg erlangen kann.