Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Es bleiben uns nur noch zwei Einwände zu betrachten, die einzigen, die eigentlich diesen Namen verdienen, weil sie auf vernünftigen Theorien basieren. Beide nehmen die Tatsächlichkeit aller Phänomene an, sowohl die materiellen als die geistigen, aber sie wollen von einer Einwirkung „der Geister“ nichts wissen.


Nach der ersten dieser Theorien wären alle den Geistern zugeschriebenen Manifestationen nichts anderes als magnetische Wirkungen. Die Medien befänden sich in einem Zustand, den man als wachen Somnambulismus bezeichnen könnte, ein Phänomen, das Jedermann, der den Magnetismus studiert hat, bezeugen kann. In diesem Zustand erhielten die intellektuellen Fähigkeiten eine abnorme Entwicklung; der Kreis intuitiver Wahrnehmungen gehe über die Grenzen unseres gewöhnlichen Erfassens hinaus. Demnach würde das Medium das was es sagt, alle Begriffe, die es übermittelt, selbst bei Dingen, die ihm im gewöhnlichen Zustand fremd sind, aus sich selbst und Kraft seinr Hellsehens schöpfen.
Wir sind es nicht, welche die Macht des Somnambulismus bestreiten, dessen Wunder wir gesehen und dessen Phasen wir sämtlich in einer Reihe von mehr als fünfunddreißig Jahren studiert haben; wir geben zu, dass in der Tat viele spiritistische Manifestationen sich auf diesem Wege erklären lassen; aber eine unablässige aufmerksame Beobachtung weist eine ganze Menge von Tatsachen auf, wo die Intervention des Mediums in einer anderen Weise als der eines ganz passiven Werkzeugs, schlechthin unmöglich ist. Den Anhängern dieser Ansicht rufen wir ebenfalls zu: „Seht und beobachtet, denn ihr habt sicher nicht alles gesehen!“ Sodann halten wir ihnen zwei Erwägungen entgegen, die wir aus ihrer eigenen Lehre ziehen. Woher ist die spiritistische Theorie gekommen? Ist es ein System, das sich einige Menschen ausgedacht haben, um die Tatsachen zu erklären? Keineswegs. Wer also hat es enthüllt? Nun eben jene Medien selbst, deren Hellsehen man so sehr rühmt. Wenn also dieser Hellseher wirklich so beschaffen ist, wie man annimmt, wie wären sie darauf verfallen, Geistern zu zuschreiben, was sie ja aus sich selbst geschöpft hätten? Wie hätten sie diese bestimmten logischen, erhabenen Lehren über jene außerhalb der Menschheit stehenden Intelligenzen geben können? Entweder, oder! Entweder sie sind hellsehend oder sie sind es nicht: wenn sie es sind und man in ihre Wahrhaftigkeit Vertrauen setzt, so kann man, ohne sich zur widersprechen, unmöglich annehmen, dass sie nicht auch hier bei der Wahrheit bleiben. Zweitens, wenn alle Phänomene ihren Grund im Medium hätten, so wären sie bei demselben Individuum identisch, man würde nicht beobachten, wie dieselbe Person z. B. einer diametral entgegengesetzten Ausdrucksweise sich bedient oder nach und nach die widersprechendsten Dinge zum Ausdruck bringt. Dieser Mangel an Einheit in den vom Medium erlangten Manifestationen beweist die Verschiedenheit der Quellen; kann man diese nicht in dem Medium finden, so muss man sie wohl oder übel außerhalb von ihm suchen.


Nach anderer Ansicht, ist das Medium die Quelle der Manifestationen, aber anstatt sie aus sich selbst zu schöpfen, wie die Anhänger der somnambulistischen Theorie behaupten, schöpft es dieselben aus seiner unmittelbaren Umgebung. Das Medium wäre demnach eine Art Spiegel, welcher alle Ideen, Gedanken und Kenntnisse der umgebenden Personen reflektierte: es würde nichts sagen, was nicht wenigstens einige wüssten. Man kann allerdings – es ist dies ein Prinzip der Lehre – nicht in Abrede stellen, dass die Anwesenden auf die Beschaffenheit der Geisteskundgebungen einen Einfluss ausüben; dieser Einfluss ist jedoch ein ganz anderer als den dessen Existenz man voraussetzt und von da, bis zu der Annahme, dass das Medium das Echo der Gedanken sein soll, ist noch ein großer Sprung; denn tausend Tatsachen weisen mit Entschiedenheit auf das Gegenteil hin. Es ist dies aber ein Irrtum, welcher wieder einmal das Gefährliche voreiliger Schlussfolgerungen beweist. Diese Leute können die Existenz einer Erscheinung, von der die gewöhnliche Wissenschaft keine Rechenschaft geben kann, nicht leugnen: das Vorhandensein von Geistern wollen sie nicht zugestehen, und so erklären sie sich die Sache nach ihrer Weise. Wäre ja ihre Theorie recht schön, wenn sie alle Tatsachen umfassen würde; aber dies ist eben nicht der Fall. Wenn man ihnen deutlich aufzeigt, dass gewisse Mitteilungen, die das Medium gibt, den Gedanken, Kenntnissen und Ansichten sämtlicher Anwesenden fremd sind, dass diese Mitteilungen oft freiwillige sind und allen vorgefassten Ideen widersprechen, so halten sie sich bei solchen Lappalien nicht auf. Die Ausstrahlung, heißt es dann, erstreckt sich wohl auch über den uns unmittelbar umgebenden Kreis hinaus; so dass das Medium der Reflex der ganzen Menschheit ist, welches, wenn es seine Inspiration nicht unmittelbar neben sich schöpft, sie von auswärts holt, in der Stadt, in der Umgegend, auf dem ganzen Globus, ja selbst in anderen Sphären.


Ich glaube nicht, dass man in dieser Theorie eine einfachere und wahrscheinlichere Erklärung findet als die, welche der Spiritismus gibt, denn sie setzt eine noch viel wunderbarere Ursache voraus. Die Idee, dass Wesen welche den Raum bevölkern, in fortwährender Berührung mit uns sind, und uns ihre Gedanken mitteilen, bietet nichts, was der Vernunft mehr zu widerläuft, als die Annahme von dieser allgemeinen Ausstrahlung, die von allen Punkten des Universums aus sich im Gehirn eines Individuums konzentrieren soll.


Noch einmal – es ist dies ein hochwichtiger Punkt, auf den wir gar nicht dringend genug bestehen können: die somnambulistische Theorie, sowie die andere, die man als die reflektive bezeichnen könnte, sind die Gedankenschöpfung einiger Menschen; es sind individuelle Ansichten einiger Menschen, die das Faktum erklären wollten, während die Lehre der Geister überhaupt keine menschliche Gedankenschöpfung ist; sie ist von jenen Intelligenzen diktiert worden, die sich manifestieren und zwar zu einer Zeit, als niemand daran dachte und die allgemeine Ansicht sie zurückwies; nun fragen wir, woher die Medien eine Lehre geschöpft haben, an die niemand auf Erden dachte; außerdem fragen wir, durch welches seltsame Zusammentreffen tausende von Medien, die auf allen Punkten des Erdballs zerstreut sind und sich nie gesehen haben, in solchem Einverständnis sein können, um genau dasselbe zu sagen. Wenn das erste Medium, welches in Frankreich erschien, den Einfluss von Ansichten an sich erfahren hat, die in Amerika bereits wohl bekannt waren, was ist dann das für eine Seltsamkeit, dass es 2000 Meilen über das Meer geht, 2000 Meilen fort zu einem an Sitten und Sprache fremden Volk anstatt sie aus seiner Umgebung zu nehmen?


Aber es ist hierbei noch ein anderer Umstand, an den man nicht gedacht hat. Die ersten Manifestationen in Frankreich wie in Amerika haben weder durch Schrift noch durch Wort, sondern durch Klopflaute stattgefunden, welche mit den Buchstaben des Alphabets in Bezug standen und so Worte und Sätze bildeten. Auf diesem Weg haben sich die offenbarenden Intelligenzen als Geister zu erkennen gegeben. Wenn man also in den mündlichen oder schriftlichen Mitteilungen eine Mitteilung des Denkorgans des Mediums annehmen könnte, so wird diese Möglichkeit bei Klopflauten hinfällig, deren Bedeutung im Voraus nicht bekannt sein konnte.


Wir könnten viele Beispiele zitieren, die den Beweis erbringen, dass in der sich manifestierenden Intelligenz eine offensichtliche Individualität, eine absolute Willensunabhängigkeit zu finden ist. Wir verweisen Andersdenkende auf eine aufmerksamere Beobachtung, und wenn sie sich entschließen können, ohne vorgefasste Meinung zu studieren und keine Schlüsse zu ziehen, bevor sie alles gesehen haben, werden sie das Unzulängliche einer Theorie erkennen, die es nicht vermag, von allem Rechenschaft zu geben. Wir wollen uns darauf beschränken, folgende Fragen zu stellen: Warum weigert sich die Intelligenz, die sich kundtut, welche sie auch sein mag, was sie auch wolle, auf gewisse Fragen über vollkommen bekannte Gegenstände zu antworten, wie z. B. über Namen und Alter des Fragenden, über das, was er in der Hand hat, was er den Tag vorher getan hat, seine Absichten für morgen u.s.w.? Wenn das Medium der Spiegel des Gedankens der Anwesenden ist, so wäre die Antwort für dasselbe ja ganz leicht.


Die Gegner drehen das Argument freilich um und fragen ihrerseits, warum Geister, die alles wissen sollten, so einfache Dinge nicht wüssten, nach dem Axiom: „Wer Mehr kann, kann auch Weniger“; daraus schließen sie, dass es keine Geister gibt. Wenn ein Unwissender oder ein Witzbold sich vor einer gelehrten Gesellschaft einfände und z. B. fragte, warum es zur Mittagszeit taghell ist, würde sich wohl jene die Mühe geben ernsthaft zu antworten und wäre es logisch, aus ihrem Stillschweigen oder aus den Scherzreden, zu schließen mit denen sie den Frager etwa abfertigen würde, dass ihre Mitglieder Esel wären? Also eben darum, weil die Geister überlegen sind, verweigern sie Antwort auf müßige und lächerliche Fragen und mögen nicht auf solche Spiele eingehen; sie schweigen darum oder sagen, man solle sich mit ernsteren Dingen beschäftigen.


Schließlich fragen wir noch, warum die Geister zu einem bestimmten Augenblick kommen und gehen und wenn, sobald dieser Augenblick gekommen ist, weder Bitten noch Flehen sie zurückzuholen vermögen. Handelte das Medium nur unter dem mentalen Impuls der Anwesenden, so ist es offensichtlich, dass das Zusammenwirken aller vereinten Willensakte sein Hellsehen anregen müsste. Wenn es also nicht dem Wunsch der Versammlung gehorcht, der durch seinen eigenen Willen noch verstärkt wird, so gehorcht es eben einem Einfluss, der ebenso sehr ihm selbst als der Umgebung fremd ist, und es ist ersichtlich, wie dieser Einfluss gerade hierin seine Unabhängigkeit und Individualität anzeigt.