Das Buch der Geister

Allan Kardec

Zurück zum Menü
Vereinigung der Seele und des Leibes Abtreibung. Fehlgeburt *


344. In welchem Zeitpunkt vereinigt sich die Seele mit dem Leib?
„Die Vereinigung beginnt mit der Empfängnis, vollständig wird sie aber erst durch die Geburt. Vom Augenblick der Empfängnis an ist der zum Wohnen in dem betreffenden Leib bestimmte Geist mit demselben durch ein fluidisches Band verbunden, welches sich immer fester zusammenzieht bis zum Augenblick, wo das Kind das Licht der Welt erblickt. Das Schreien des Kindes verkündigt dann, dass es zur Zahl der Lebendigen und der Diener Gottes gehört.“


____________________________
* In keiner der Auflagen des Buches der Geister, die Allan Kardec zu seiner Zeit veröffentlicht hatte, kamen die Begriffe “Abtreibung” und „Fehlgeburt“ im Untertitel „Vereinigung der Seele und des Leibes“ vor. Allan Kardec hatte sie jedoch im Inhalt des Kapitels aufgeführt. Weil das Thema der Abtreibung und der Fehlgeburt in den Fragen 357 bis 359 erörtert wird, ist es sinnvoll diese Begriffe auch in den Untertiteln des Kapitels aufzunehmen.





345. Bleibt die Einigung zwischen Leib und Geist endgültig vom Zeitpunkt der Empfängnis an? Könnte nicht der Geist in dieser ersten Periode darauf verzichten, den ihm angewiesenen Leib zu bewohnen?
„Die Vereinigung ist eine endgültige in dem Sinn, dass kein anderer Geist den für diesen Leib bestimmten ersetzen könnte; da aber die ihn haltenden Bande sehr schwach sind, so reissen sie leicht und sie können so vom Geist, der vor der gewählten Prüfung zurückschreckt, gesprengt werden. Dann lebt aber das Kind nicht.“


346. Was wird aus dem Geist, wenn der von ihm gewählte Leib stirbt, bevor er geboren wird? „Er wählt einen andern.“ 346a. Was mag der Nutzen solch eines vorzeitigen Todes sein?
„Die Unvollkommenheiten des Stoffes sind es, die am häufigsten die Ursache eines solchen Todes sind.“


347. Von was für einem Nutzen kann dem Geist seine Inkarnation in einen Leib sein, der wenige Tage nach seiner Geburt stirbt ?
„Das Wesen besitzt kein entwickeltes Bewusstsein seines Daseins, der Tod hat für dasselbe sozusagen gar keine Bedeutung; letzterer ist, wie gesagt, oft eine Prüfung für die Eltern.“


348. Weiß der Geist im Voraus, dass der Leib, den er wählt, keine Aussicht hat zu leben ?
„Zuweilen weiß er es; wählt er denselben aber aus diesem Grund, so weicht er eben vor der Prüfung zurück.“



349. Wenn aus irgendeinem Grund die Inkarnation eines Geistes nicht gelingt, wird dann jene sofort durch eine andere ersetzt?
„Nicht immer sofort. Der Geist muss Zeit haben von Neuem zu wählen, wenn nicht etwa die sofortige Reinkarnation von einem früheren Entschluss herkommt.“


350. Bereut der Geist, nachdem er einmal untrennbar mit dem Leib des Kindes vereinigt ist, zuweilen seine Wahl?
„Willst du damit sagen, ob er sich als Mensch über sein Leben beklagt und ob er dasselbe anders wünschte? Ja! Oder ob er die getroffene Wahl bereut? Dann nein! Denn er weiß nicht, dass er die Wahl getroffen hat. Der einmal inkarnierte Geist kann eine Wahl, von der er kein Bewusstsein hat, nicht bereuen. Hingegen kann er seine Bürde zu schwer finden und wenn er meint, dass sie wirklich über seine Kräfte gehe, dann schreitet er zum Selbstmord.“


351. Kann der Geist aller seiner Fähigkeiten in der Zwischenzeit zwischen der Empfängnis und der Geburt nutzen?
„Mehr oder weniger, je nach dem fortschreitenden Stadium der Schwangerschaft; denn er ist noch nicht inkarniert, sondern nur an seinen werdenden Leib gebunden. Vom Augenblick der Empfängnis an beginnt beim Geist die Verwirrung, in dem ihm dadurch angezeigt wird, dass der Zeitpunkt gekommen ist, wo er eine neue Existenz annehmen muss. Diese Verwirrung steigert sich fortwährend bis zur Geburt. In diesem Zeitraum ist sein Zustand etwa derjenige eines inkarnierten Geistes während des leiblichen Schlafes. Je näher der Zeitpunkt der Geburt kommt, desto mehr verschwinden ihm seine Vorstellungen und das Gedächtnis der Vergangenheit, von der er als Mensch, einmal ins Leben eingetreten, gar kein Bewusstsein mehr hat. Jene Erinnerung kehrt ihm aber (später) in seinem Zustand als Geist allmählich wieder.“


352. Erlangt der Geist im Moment der Geburt unmittelbar die Gesamtheit seiner Fähigkeiten zurück?
„Nein, dieselben entwickeln sich Schritt für Schritt mit den Organen. Er ist jetzt in einer neuen Daseinsform: er muss sich erst seiner Werkzeuge bedienen lernen. Die Ideen kehren ihm nur allmählich wieder, wie bei einem Menschen, der aus dem Schlaf erwacht und der sich in einer Lage befindet, die von der des vorhergehenden Tages abweicht.“


353. Kann man annehmen, da die Vereinigung des Geistes und des Leibes erst nach der Geburt eine vollständige und endgültige ist, das der Fötus bereits eine Seele besitzt?
„Der Geist, der ihn beseelen soll, existiert gewissermaßen noch außerhalb von ihm; Der Fötus hat also eigentlich noch nicht eine Seele, da die Inkarnation sich erst vorbereitet. Immerhin aber ist der Geist an die Inkarnation gebunden, die er bestehen soll.“


354. Wie soll man sich das Leben im Mutterschoß erklären?
„Es ist das der vegetierenden Pflanze. Das Kind lebt schon ein animalisches Leben. Der Mensch besitzt ein animalisches und ein vegetatives Leben, das er bei der Geburt mit dem geistigen ergänzt.“


355. Gibt es, wie die Wissenschaft behauptet, Kinder, die schon im Mutterleib nicht lebensfähig sind, und zu welchem Zweck geschieht dies?
„Das kommt häufig vor: Gott lässt es zu als Prüfung, für die Eltern, oder für den Geist, der hier inkarnieren sollte.“


356. Gibt es totgeborene Kinder, die nie zur Inkarnation eines Geistes bestimmt waren?

„Ja, es gibt solche, für deren Leib nie ein Geist bestimmt war: nichts sollte für sie zu Stande kommen. Dann kam dieses Kind nur für die Eltern zur Welt.“


356a. Kann ein so geartetes Wesen rechtzeitig auf die Welt kommen?
„Ja, zuweilen; aber dann lebt es nicht.“


356b. Also hat jedes Kind, das seine Geburt überlebt, einen in dasselbe inkarnierten Geist?
„Was wäre es sonst? Es wäre kein menschliches Wesen.“


357. Was für Folgen hat für den Geist eine Fehlgeburt?
„Es ist ein nichtiges Dasein; das wieder neu begonnen werden muss.“


358. Ist die willentliche Abtreibung ein Verbrechen, wann auch die Empfängnis stattgefunden haben mag?
„Überall liegt ein Verbrechen vor, sobald ihr Gottes Gesetze überschreitet. Die Mutter oder jeder andere begeht stets ein Verbrechen, wenn sie einem Kind vor seiner Geburt das Leben nimmt, denn das heißt die Seele hindern, die Prüfungen, deren Werkzeug der Leib werden sollte, zu ertragen.“


359. Wenn aber das Leben der Mutter in Gefahr käme durch die Geburt des Kindes, ist es dann ein Verbrechen das Kind zu opfern, zur Rettung der Mutter?
„Besser ist es, das noch nicht existierende Wesen dem existierenden zu opfern.“


360. Entspricht es der Vernunft, für den Fötus dieselben Rücksichten wie für den Leib eines Kindes zu nehmen?
„Erblickt in allen diesen Dingen Gottes Willen und Werk. Behandelt nicht leichtsinnig Dinge, die ihr achten sollt. Warum den Werken der Schöpfung, die zuweilen nach dem Willen des Schöpfers unvollendet bleiben, nicht Achtung angedeihen lassen? Das gehört zu seinen Plänen, die niemand zu beurteilen berufen ist.“