Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Erhaltungsmittel

704. Hat Gott, so wie er dem Menschen das Bedürfnis zu leben einpflanzte, ihm auch immer die Mittel dazu dargereicht?
„Ja, und wenn er sie nicht findet, so kommt dies nur daher, dass er sie nicht erkennt. Gott konnte dem Menschen nicht das Bedürfnis zu leben geben, ohne ihm auch die Mittel dazu zu geben; darum lässt er die Erde Dinge hervorbringen, die ihren Bewohnern alles Notwendige bieten; denn nur das Notwendige ist nützlich, das Überflüssige ist es nie.“


705. Warum erzeugt die Erde nicht immer so viel, um den Menschen das Nötige liefern zu können?
„Weil der Mensch sie vernachlässigt, der Undankbare! Sie ist doch eine vortreffliche Mutter. Oft auch klagt der Mensch die Natur dessen an, was doch nur die Folge einer Unerfahrenheit oder seines Mangels an Voraussicht ist. Die Erde würde stets das Nötige erzeugen, wenn der Mensch sich damit zu begnügen wüsste. Wenn sie nicht allen Bedürfnissen entspricht, so kommt dies daher, dass der Mensch das, was zum Nötigen gebraucht werden sollte, auf das Überflüssige verwendet. Sieh den Araber der Wüste, er findet stets zu leben, weil er sich keine künstlichen Bedürfnisse schafft. Wenn aber die Hälfte der Erzeugnisse zur Befriedigung von unnützen Einfällen verschleudert wird, darf sich der Mensch dann wundern, am folgenden Tag nichts mehr zu finden und darf er sich beklagen, dass er nichts mehr vor sich sieht, wenn die Zeit der Entbehrung herankommt? Wahrlich ich sage euch, nicht der Natur mangelt es an Voraussicht, nur der Mensch weiß sein Leben nicht zu ordnen.“



706. Dürfen unter den Gütern der Erde nur die Erzeugnisse des Bodens verstanden werden?
„Der Boden ist die erste Quelle, dem alle anderen Hilfsmittel entströmen, denn schließlich sind die letzteren nur Umwandlungen der Bodenerzeugnisse. Daraus ist unter den Gütern der Erde alles zu verstehen, was der Mensch hier auf Erden genießen kann.“


707. Die Existenzmittel gehen gewissen Individuen zuweilen ab, selbst mitten in dem sie umgebenden Überfluss. Wem haben sie dies dann zuzuschreiben?
„Dem Egoismus der Menschen, die nicht immer tun, was sie sollen. Suchet, so werdet ihr finden, diese Worte besagen keineswegs, dass es genügt, auf den Boden zu schauen, um gleich das zu finden, was man wünscht, sondern dass man mit Eifer und Beharrlichkeit und nicht in weichlichem Behagen zu suchen habe, ohne sich durch die Hindernisse entmutigen zu lassen; denn durch diese soll oft nur eure Beständigkeit, Geduld und Festigkeit auf die Probe gestellt werden.“ (534.)


Wenn die Zivilisation die Bedürfnisse vermehrt, so vermehrt sie zugleich die Quellen der Arbeit und die Mittel zum Leben. Allerdings aber bleibt derselben hier noch viel zu tun übrig. Hat sie einst ihre Aufgabe vollendet, so wird keiner mehr sagen können, dass es ihm am Notwendigen fehle, es sei denn durch seinen eigenen Fehler. Für viele ist das das Unglück, dass sie auf einem Weg bleiben wollen, den ihnen die Natur nicht vorzeichnete. Dann lässt sie die zum Gelingen nötige Intelligenz im Stich. Es ist Raum für jeden auf der Erde, aber unter der Bedingung, dass jeder seine eigene und nicht die Stelle der anderen einnehme. Die Natur kann nicht für die Fehler der sozialen Ordnung und die Folgen des Ehrgeizes und der Eigenliebe verantwortlich gemacht werden.


Indessen müsste man blind sein, wenn man den Fortschritt, der bei den vorgerücktesten Völkern gemacht wurde, nicht sehen wollte. Dank der unermüdlichen löblichen Bestrebungen der vereinigten Menschenliebe und Wissenschaft zur Verbesserung der materiellen Lage der Menschen und trotz dem stetigen Zunehmen der Bevölkerung wurde dem Mangel an Produktion, wenigstens größtenteils, gegengesteuert und die schlimmsten Hungerjahre lassen sich nicht mehr mit denjenigen der jüngsten Vergangenheit vergleichen. Die öffentliche Gesundheitspflege, jenes für Kraft und Wohlsein so wesentliche Element, das unseren Vätern noch unbekannt gewesen ist, ist jetzt der Gegenstand sorgfältigster Ergründung. Unglück und Leiden finden ihre Zufluchtsstätten und überall muss sich die Wissenschaft zur Vermehrung des Wohlstandes in Anspruch nehmen lassen. Wollen wir damit etwa sagen, dass man die Vollkommenheit schon erreicht hat? Oh, gewiss nicht, aber was bisher geschehen ist, daraus lässt sich schließen, was künftig geschehen kann, wenn der Mensch Ausdauer und Weisheit genug zeigt, um das Glück in tatsächlichen und ernsten Dingen und nicht in unausführbaren Träumereien sucht, die ihn nur rückwärts statt vorwärts bringen.


708. Gibt es nicht Lagen, wo die Mittel zum Leben keineswegs vom menschlichen Willen abhängen, und wo der Mangel selbst des allernotwendigsten eine Folge der Macht der Umstände ist?
„Das ist eine oft sehr harte Prüfung für den Menschen, von der er aber wusste, dass er sich ihr zu unterziehen haben wird. Dann liegt sein Verdienst in der Ergebung in den Willen Gottes, wenn sein Verstand ihm keinen Weg weist, sich aus der Verlegenheit zu ziehen. Ist ihm der Tod verhängt, so soll er sich ohne Murren ergeben mit dem Gedanken, dass die Stunde der wahren Befreiung gekommen und dass die Verzweiflung des letzten Augenblickes ihn um die Frucht seiner Ergebung bringen kann.“


709. Begingen jene ein Verbrechen, welche in gewissen gefahrvollen Lagen sich darauf angewiesen sahen, ihresgleichen zu opfern, um sich selbst zu nähren? Und wenn es ein Verbrechen war, wird dasselbe durch das Bedürfnis nach Speise, das ihnen der Selbsterhaltungstrieb eingibt, gemildert?

„Ich antwortete schon, indem ich sagte, dass es ein größeres Verdienst sei, alle Prüfungen des Lebens mutig und mit Ergebenheit zu ertragen. Jenes ist Menschenmord und ein Verbrechen gegen die Natur und verdient doppelte Strafe.“


710. Bedürfen die lebenden Wesen auf den höheren organisierten Welten noch der Nahrung?
„Ja, aber ihre Nahrung richtet sich nach ihrer Natur. Diese Nahrung wäre für eure groben Mägen nicht fest und stofflich genug und ebenso wenig könnten sie die eurige verdauen.“