Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Grausamkeit

752. Kann man die Grausamkeit aus dem Zerstörungstrieb ableiten?
„Es ist der Zerstörungstrieb in seiner schlimmsten Entartung, denn wenn das Zerstören zuweilen notwendig ist, so ist es doch niemals die Grausamkeit; diese ist stets das Ergebnis einer schlechten Natur.“


753. Woher kommt es, dass die Grausamkeit ein herrschender Charakterzug der ältesten Völker ist?
„Bei den ältesten Völkern führt, wie du weißt, der Stoff die Herrschaft über den Geist. Sie überlassen sich den tierischen Trieben und da sie keine anderen Bedürfnisse kennen als die des leiblichen Lebens, so denken sie nur an ihre eigene Erhaltung, was sie eben gewöhnlich grausam macht. Ferner stehen die noch wenig entwickelten Völker unter dem Einfluss ebenso unvollkommener Geister, die ihnen sympathisch sind, bis fortgeschrittenere Völker kommen und diesen Einfluss zerstören oder wenigstens abschwächen.“


754. Beruht die Grausamkeit nicht auf der Abwesenheit des moralischen Sinnes?
„Sage lieber, der moralische Sinn sei nicht entwickelt, denn er existiert im Prinzip bei jedem Menschen. Dieser moralische Sinn ist es, der aus ihnen später gute und menschliche Wesen macht. Er existiert also auch beim Wilden, aber nur so wie das Prinzip des Wohlgeruchs in dem Keime der Blume liegt, bevor sie sich öffnet.“


Alle Fähigkeiten sind im Menschen zunächst nur gleichsam als Ansätze oder Anlagen vorhanden und erwarten in diesem Zustand die zu ihrer Entwicklung mehr oder weniger günstigen Umstände und Bedingungen. Die übermäßige Entwicklung der einen hindert oder unterdrückt die der anderen. Die Überreizung der stofflichen Triebe erstickt sozusagen den moralischen Sinn, sowie die Entwicklung des letzteren nach und nach die rein tierischen Fähigkeiten abschwächt.


755. Wie kommt es, dass man im Schoß der am weitesten fortgeschrittenen Zivilisation zuweilen Wesen findet, die so grausam sind wie die Wilden?
„So wie man auf einem mit guten Früchten voll beladenen Baum auch faule. Das sind, wenn du willst, Wilde, die von der Zivilisation nur das Kleid tragen, Wölfe, die sich mitten unter die Schafe verirrten. Geister niederen Ranges, die sehr zurückgeblieben sind, können sich unter fortgeschrittenen Menschen inkarnieren in der Hoffnung, dann selbst fortzuschreiten. Wird ihnen aber die Prüfung zu schwer, so gewinnt ihr ursprüngliches Wesen wieder die Oberhand.“



756. Wird die menschliche Gesellschaft einst von solchen bösartigen Wesen gereinigt werden?
„Die Menschheit schreitet fort. Jene, vom Trieb des Bösen beherrschten Menschen, die unter den rechtschaffenen Leuten nicht an ihrem Platz sind, werden allmählich verschwinden, wie das schlechte Korn sich vom guten trennt, wenn es geschwungen wird; sie werden aber unter einer anderen Hülle wiedergeboren werden. Alsdann werden sie, da sie nun mehr Erfahrung besitzen, Gutes und Böses besser erkennen. Du findest hierzu ein Beispiel in den vom Menschen veredelten Pflanzen und Tieren, bei denen er neue Eigenschaften entwickelt. Das ist eben: erst nach mehreren Generationen wird die Vervollkommnung vollständig. Es ist dies ein Abbild der verschiedenen Existenzen des Menschen.“