Das Buch der Geister

Allan Kardec

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KAPITEL II
I. DAS GESETZ DER ANBETUNG

1. Zweck der Anbetung. – 2. Äußerliche Anbetung. – 3. Beschauliches Leben.
– 4. Das Gebet. – 5. Vielgötterei. – 6. Von den Opfern.


Zweck der Anbetung.

649. Worin besteht die Anbetung?

„Sie ist die Erhebung der Gedanken zu Gott. Durch die Anbetung bringt man ihm die Seele näher.“

650. Ist die Anbetung das Ergebnis eines angeborenen Gefühls oder das Erzeugnis eines Unterrichts?

„Angeborenes Gefühl, wie das der Gottheit. Das Bewusstsein seiner Schwäche führt den Menschen dahin, sich vor dem zu beugen, der ihn beschützen kann.“

651. Hat es Völker gegeben, die des Gefühls der Anbetung ganz entbehrt hätten?

„Nein, denn es gab niemals atheistische Völker. Alle erkennen, dass es über ihnen ein höchstes Wesen gibt.“

652. Kann man annehmen, dass die Anbetung ihre Quelle in dem natürlichen Gesetz hat?

„Sie liegt im natürlichen Gesetz, denn sie ist das Ergebnis eines dem Menschen angeborenen Gefühls. Deshalb findet man sie bei allen Völkern, wenn auch in verschiedenen Formen.“

Äußerliche Anbetung.

653. Bedarf die Anbetung äußerlicher Manifestationen?

„Die wahre Anbetung liegt im Herzen. Bei all eurem Tun denkt stets, dass ein Herr euch sieht.“

653a. Ist die äußerliche Anbetung von Nutzen?

„Ja, wenn sie nicht ein leerer Schein ist. Es ist immer nützlich, ein gutes Beispiel zu geben. Wer dies aber nur aus Heuchelei und Eigenliebe tut und dessen Verhalten seine scheinbare Frömmigkeit Lügen straft, gibt eher ein schlechtes als ein gutes Beispiel und stiftet mehr Übel, als er denkt.“

654. Gibt Gott einer bestimmten Anbetungsweise den Vorzug?

„Gott liebt diejenigen, welche ihn vom Grund ihres Herzens mit Aufrichtigkeit anbeten, indem sie das Gute tun und das Böse lassen. Mehr als jene, die glauben ihn mit Zeremonien zu preisen, die sie für ihresgleichen nicht besser machen. Alle Menschen sind Brüder und Gottes Kinder. Zu sich ruft er alle, die seine Gesetze befolgen, was auch die Form sei, in der sie sie ausdrücken. Wer nur die äußerlichen Gebärden der Frömmigkeit hat, ist ein Heuchler, wer nur eine angenommene Anbetung verrichtet, die seinem Verhalten widerspricht, gibt ein schlechtes Beispiel.

Wer da bekennt Christus anzubeten und hochmütig, neidisch und eifersüchtig ist, wer hart und unversöhnlich ge-gen seinen Nächsten ist oder ehrgeizig sich um die Güter dieser Welt bewirbt, von dem sage ich euch: seine Religion ist auf seinen Lippen und nicht in seinem Herzen. Gott, der alles sieht, wird sprechen: dieser da, der die Wahrheit kennt, ist hundertmal schuldiger des Bösen das er tut, als der unwissende Wilde der Wüste, und am Tag des Gerichts wird er demnach beurteilt werden. Wenn ein Blinder euch im Vorbeigehen umwirft, so entschuldigt ihr ihn; ist es aber ein Sehender, so beklagt ihr euch und ihr habt Recht.

Fragt also nicht, ob eine Form der Anbetung besser sei als die andere, denn das hieße fragen, ob es Gott wohlgefälliger sei, in dieser oder in einer anderen Sprache angebetet zu werden. Noch einmal sage ich euch: die Lobgesänge gelangen zu ihm nur durch die Türe des Herzens.“

655. Verdient es Tadel, eine Religion auszuüben, an die man im Grunde des Herzens nicht glaubt, wenn man es nur tut aus menschlichem Respekt und um Andersdenkende nicht zu ärgern?

„Auf die Absicht kommt es hier, wie in vielen anderen Dingen an. Wer nur den Glauben anderer respektieren will, tut nichts Unrechtes. Er handelt besser als der, welcher jenen ins Lächerliche zöge, denn er würde sonst der Liebe ermangeln. Wer aber nur aus Interesse und Ehrgeiz handelt, ist in Gottes und der Menschen Augen verächtlich. Gott können nicht wohlgefallen alle diejenigen, welche Demut vor ihm heucheln, um sich die Billigung der Menschen zu erwerben.“

656. Ist die gemeinsame Anbetung der individuellen vorzuziehen?

„In Gemeinschaft der Gedanken und Gefühle versammelte Menschen haben mehr Macht, die guten Geister an sich zu ziehen. Ebenso verhält es sich, wenn sie sich zur Anbetung Gottes versammeln. Glaubt aber deswegen nicht, die Anbetung des Einzelnen sei weniger gut, denn jeder kann Gott anbeten, indem er an ihn denkt.“

Beschauliches Leben.

657. Haben die Menschen in Gottes Augen ein Verdienst, welche sich einem beschaulichen Leben widmen, nichts Böses tun und nur an ihn denken?

„Nein, denn wenn sie nichts Böses tun, so tun sie auch nichts Gutes und sind unnütze Menschen; außerdem ist nichts Gutes zu tun auch schon ein Übel. Gott will, dass man an ihn denkt, aber er will nicht, dass man nur an ihn denkt, da er ja dem Menschen Pflichten auf Erden zu erfüllen gab. Wer sich in Andacht und Beschaulichkeit aufzehrt, tut vor Gott nichts Verdienstliches, weil sein Leben ein rein persönliches bleibt und für die Menschheit keinen Nutzen bringt. Gott wird von ihm Rechenschaft verlangen über das Gute, das er nicht tat.“ (640.).

Das Gebet.

658. Ist das Gebet Gott wohlgefällig?

„Das Gebet ist Gott stets wohlgefällig, wenn es aus dem Herzen kommt, denn der Vorsatz ist für ihn alles und das herzliche eigene Gebet ist dem vorzuziehen, das du nur liest, wie schön dieses auch sein mag, wenn du es mehr mit den Lippen als mit den Gedanken liest. Das Gebet ist Gott wohlgefällig, wenn es mit Glauben, Inbrunst, Aufrichtigkeit gesprochen wird; glaube aber nicht, dass er vom Gebet des Hochmütigen, Eitlen und Eigensüchtigen gerührt werde, es geschehe denn aus aufrichtiger Reue und wahrhaftiger Demut.“

659. Was ist im allgemeinen das Wesen des Gebetes?

„Das Gebet ist eine Handlung der Anbetung. Zu Gott beten heißt, an ihn denken, heißt sich ihm nahen, heißt sich mit ihm in Verbindung setzen. Im Gebet kann man drei Dinge tun: Loben, bitten, danken.“

660. Macht das Gebet den Menschen besser?

„Ja, denn wer mit Inbrunst und Vertrauen betet, ist stärker gegenüber den Versuchungen des Bösen und Gott sendet ihm gute Geister zur Unterstützung. Es ist eine Hilfe, die nie verweigert wird, wenn sie aufrichtig verlangt wird.“

660a. Wie kommt es, dass gewisse Personen, welche viel beten, dennoch einen schlechten Charakter haben, eifersüchtig, neidisch, mürrisch sind, dass sie kein Wohlwollen, und keine Nachsicht kennen, ja dass sie oft geradezu lasterhaft sind?

„Es kommt nicht auf das viele Beten an, sondern darauf, dass man recht betet. Die Leute meinen, dass das ganze Verdienst in der Länge des Gebetes liege und schließen ihre Augen über ihre eigenen Fehler. Das Gebet ist für sie eine Beschäftigung, ein Zeitvertreib; aber nicht eine Selbstprüfung. Nicht die Arznei ist unwirksam, sondern die Art ihrer Anwendung.“

661. Kann man Gott auf nutzbringende Weise bitten, uns unsere Schulden zu vergeben?

„Gott weiß Gut und Böse zu unterscheiden: das Gebet verbirgt die Fehler nicht. Wer Gott um Verzeihung seiner Fehler bittet, erhält sie nur, wenn er sein Verhalten ändert. Gute Handlungen sind das beste Gebet, denn Taten sind mehr wert als Worte.“

662. Kann man auf nutzbringende Weise für andere beten?

„Der Geist des Betenden wirkt durch seinen Willen Gutes zu tun. Durch das Gebet zieht er die guten Geister an sich, welche sich dem Guten, das er tun will, anschließen.“

Wir besitzen in uns dank unseres Denkens und Willens eine Kraft unseres Wirkens, die sich weit über die Grenzen unserer leiblichen Sphäre ausdehnt. Das Gebet für einen Anderen ist die Betätigung eines solchen Willens. Wenn es glühend und aufrichtig ist, so kann es zu seiner Hilfe die guten Geister herbeirufen, um ihm gute Gedanken einzugeben und ihm die Kraft des Leibes und der Seele zu verleihen, deren er bedarf. Aber auch hier ist das Gebet, das aus dem Herzen kommt, alles; das Geplapper der Lippen nichts.

663. Können unsere Gebete für uns selbst das Wesen unserer Prüfungen ändern und ihnen eine andere Wendung geben?

„Eure Prüfungen sind in Gottes Hand und es gibt solche, die bis auf die Hefe geleert werden müssen, dann aber trägt Gott stets der Ergebung Rechnung. Das Gebet ruft die guten Geister an eure Seite und diese geben euch Kraft, jene mutig zu ertragen und dann erscheinen sie euch weniger hart. Wir sagten es schon: das Gebet ist nie unnütz, wenn es echt ist, denn dann gibt es Stärke und das ist schon ein großer Erfolg. Hilf dir selbst, so wird dir Gott helfen – du weißt das ja. Übrigens kann Gott die Gesetze der Natur nicht für einen jeden ändern, denn was für eure kleinliche Auffassung und für euer kurzes Leben ein großes Übel ist, das ist oft ein großes Gut in der allgemeinen Ordnung des Universums. Und dann, wieviele Übel gibt es nicht, deren Urheber der Mensch selbst ist durch seine Unvorsichtigkeit oder seine Fehler! Er wird gestraft mit dem, was er gesündigt hat. Dennoch werden billige Bitten öfter erhört, als ihr denkt. Ihr meint, Gott habe euch nicht erhört, weil er kein Wunder für euch tat, während er euch mit so natürlichen Dingen beispringt, dass es euch als Zufall oder die Wirkung der Gewalt der Dinge erscheint. Oft auch und zwar am meisten erweckt er in euch den nötigen Gedanken, dass ihr euch selbst aus der Verlegenheit zieht.“

664. Ist es nützlich, für die Toten und die leidenden Geister zu beten und wie können in diesem Fall unsere Gebete ihnen Erleichterung verschaffen und ihre Leiden abkürzen? Haben sie die Macht, die Gerechtigkeit Gottes zu beugen?

„Das Gebet kann nicht die Wirkung haben, Gottes Absichten zu ändern, aber die Seele, für die man betet, fühlt davon Erleichterung, da es ein Beweis des Interesses ist, das man für sie hat und weil der Unglückliche stets erleichtert wird, wenn er liebende Seelen findet, die mit seinen Schmerzen Mitleid fühlen. Andererseits erweckt man in ihm durch das Gebet Reue und den Antrieb das Nötige zu tun, um glücklich zu werden. In diesem Sinn kann man allerdings sein Leiden abkürzen, wenn auch er durch seinen guten Willen das Seinige tut. Dieser, durch das Gebet erweckte Wunsch sich zu bessern, ruft bessere Geister an die Seite des Leidenden, welche ihn erleuchten, trösten und mit Hoffnung beleben. Jesus betete für die verlorenen Schafe: Er zeigt euch dadurch, dass ihr strafbar würdet, wenn ihr es nicht auch tätet für die, welche es am meisten bedürfen.“

665. Was ist von der Ansicht zu halten, die das Gebet für die Toten verwirft, weil es im Evangelium nicht geboten sei?

„Christus sagte zu den Menschen: Liebet einander. Dieses Gebot schließt das andere ein, alle möglichen Mittel anzuwenden, ihnen Liebe zu bezeugen, ohne deswegen in irgendwelche Einzelheiten über die Art und Weise diesen Zweck zu erreichen, einzutreten. Wenn es wahr ist, dass nichts den Schöpfer davon abbringen kann, Gerechtigkeit, deren Urbild er ist, allem, was der Geist tut, angedeihen zu lassen, so ist es nicht minder wahr, dass das Gebet, das ihr an Gott für den richtet, der euch Liebe einflößt, für diesen letzteren ein Beweis des Andenkens ist, der seine Leiden erleichtern und ihm Trost bringen muss. Sobald er die geringste Reue zeigt, aber auch nur dann, wird er unterstützt. Nie aber bleibt ihm unbekannt, wenn eine sympathische Seele sich mit ihm beschäftigte und man lässt ihm den süßen Gedanken, dass deren Fürbitte ihm von Nutzen gewesen sind. Daraus folgt auf seiner Seite notwendig ein Gefühl des Dankes und der Liebe gegen den, der ihm diesen Beweis der Anhänglichkeit oder des Erbarmens gegeben hat. Folglich hat die von Christus dem Menschen empfohlene Liebe unter ihnen nur zugenommen. Sie haben also beide dem Gesetz der Liebe und der Einigung aller Wesen gehorcht, jenem göttlichen Gesetz, das die Einheit, das Ziel und den Endzweck des Geistes herbeiführen soll.“ *


* Antwort des hl. Ludwig (Geistwesen).



666. Kann man zu den Geistern beten?

„Man kann zu den guten Geistern als den Boten Gottes und den Vollziehern seines Willens beten; aber ihre Macht steht im Verhältnis zu ihrer Erhabenheit und ist stets abhängig von dem Herrn aller Dinge, ohne dessen Zulassung nichts geschieht. Darum sind die an sie gerichteten Gebete nur dann wirksam, wenn sie von Gott genehmigt werden.“

Vielgötterei.

667. Warum ist die Vielgötterei einer der ältesten und verbreitetsten Glauben, da er doch falsch ist?

„Der Gedanke eines einzigen Gottes konnte bei den Menschen nur das Ergebnis der Entwicklung seiner Ideen sein. In seiner Unwissenheit war er nicht imstande, ein unstoff liches Wesen und ohne bestimmte Gestalt, das auf den Stoff wirkt, zu fassen und gab ihm deshalb die Eigenschaften der leiblichen Natur, d. h. eine Gestalt und ein Antlitz. Von nun an war ihm alles eine Gottheit, was ihm das Maß des gemeinen Verstandes zu überschreiten schien. Alles was er nicht begriff, musste so das Werk einer übernatürlichen Macht sein und von hier bis zum Glauben an soviele einzelne Mächte, als er Wirkungen sah, war nur noch ein Schritt. Zu allen Zeiten gab es aber aufgeklärte Menschen, welche die Unmöglichkeit einsahen, dass diese Vielheit von Mächten die Welt ohne eine oberste Leitung regieren könne und sich daher zum Gedanken eines einzigen Gottes aufschwangen.“

668. Konnten nicht die spiritistischen Erscheinungen an eine Vielheit von Göttern glauben machen, da sie sich zu allen Zeiten geltend machten und schon in den ersten Weltaltern bekannt waren?

„Ohne Zweifel, denn da die Menschen alles Übermenschliche Gott nannten, so waren die Geister für sie Götter und darum machte man aus einem Menschen, der sich vor allen anderen durch seine Taten, sein Genie oder durch eine vom gemeinen Mann unverstandene Macht auszeichnete, einen Gott und weihte ihm nach seinem Tod einen Kultus.“ (603.)

Das Wort Gott hatte in der Antike einen sehr weiten Sinn: Es war nicht, wie heutzutage, die Personifikation des Herrn der Natur, sondern eine allgemeine Bezeichnung für jedes außerhalb der Bedingungen menschlicher Natur stehende Wesen. Da nun die spiritistischen Kundgebungen ihnen das Dasein unkörperlicher, als Naturmächte wirkender Wesen enthüllten, nannten sie dieselben Götter, so wie wir sie Geister nennen. So läuft dies also auf eine einfache Wortfrage hinaus, nur mit dem Unterschied, dass sie in ihrer Unwissenheit – die absichtlich von solchen, die ein Interesse daran hatten, aufrecht erhalten wurde – diesen Wesen sehr kostbare Tempel und Altäre errichteten, während sie für uns einfache Geschöpfe, wie wir selbst sind, mehr oder weniger vollkommen und entkleidet von ihrer irdischen Hülle sind. Studiert man gründlich die verschiedenen Eigenschaften der heidnischen Gottheiten, so wird man in ihnen leicht alle die unserer Geister auf allen Stufen der geistigen Leiter wiedererkennen, sowie auch ihren physischen Zustand auf den höheren Welten, alle Eigenschaften des Perispirits und die Rolle, welche sie in den Angelegenheiten der Erde spielen.

Als das Christentum die Welt mit seinem göttlichen Licht erleuchtete, konnte es etwas, das in der Natur selbst liegt, nicht unterdrücken, aber es führte die Anbetung auf denjenigen zurück, dem sie gebührt. Was die Geister betrifft, so erhielt sich die Erinnerung an sie unter verschiedenen Namen, je nach den Völkern. Auch ihre Kundgebungen, die nie aufgehört haben, wurden verschieden ausgelegt und oft unter der Herrschaft des Geheimnisses ausgebeutet. Während die Religion in denselben wunderbare Erscheinungen erblickte, sahen die Ungläubigen darin nur Betrüger. Heutzutage enthüllt uns dank einem ernsthaften Studium der Spiritismus, nachdem er von den Jahrhunderte alten abergläubischen Zugaben gereinigt worden ist, eines der großartigsten und erhabensten Prinzipien der Natur.

Von den Opfern.

669. Die Sitte der Menschenopfer reicht bis ins Altertum zurück. Wie kamen wohl die Menschen auf den Glauben, dass solche Dinge Gott wohlgefällig sein könnten?

„Zunächst weil sie Gott nicht als die Quelle des Guten erkannten. Bei den frühesten Völkern hat der Stoff die Oberhand über den Geist, sie lassen sich hinreißen von den tierischen Trieben. Darum sind sie im allgemeinen grausam, denn der moralische Sinn ist in ihnen noch nicht entwickelt. Sodann mussten jene Menschen natürlich annehmen, dass ein beseeltes Wesen in den Augen Gottes einen viel höheren Wert habe, als ein stofflicher Körper. Das veranlasste sie zunächst, Tiere zu opfern und später auch Menschen, da sie ja, nach ihrem verkehrten Glauben dachten, dass der Wert des Opfers im Verhältnis stehe zur Wichtigkeit des Geopferten. Im stofflichen Leben, wie ihr es meist führt, wählt ihr eure Geschenke immer so, dass sein Wert im Verhältnis steht zu dem Grad von Zuneigung und Achtung, die ihr dem Betreffenden bezeugen wollt. So musste es sich auch mit dem in Beziehung auf Gott unwissenden Menschen verhalten.“

669a. So wären also die Tieropfer den Menschenopfern vorausgegangen?

„Ohne Zweifel.“

669b. Nach dieser Auslegung hätten also die Menschenopfer ihre Quelle nicht in dem Gefühl der Grausamkeit?

„Nein, sondern in einer falschen Vorstellung, Gott wohlgefällig zu sein: Seht den Abraham. In der Folge missbrauchten die Menschen jene falsche Vorstellung, um ihre Feinde, selbst ihre Privatfeinde zu opfern. Übrigens forderte Gott nie ein Opfer, weder Tier – noch Menschenopfer. Er kann unmöglich geehrt werden durch die unnütze Vernichtung seines eigenen Geschöpfs.“

670. Konnten die in frommer Absicht dargebrachten Menschenopfer zuweilen Gott wohlgefällig sein?

„Nein, niemals; aber Gott richtet die Absicht. Wenn die Menschen unwissend waren, so konnten sie eine löbliche Tat zu begehen wähnen, indem sie einen ihresgleichen opferten. In diesem Fall hielt sich Gott nur an die Absicht, nicht an die Tat. Wie sich die Menschen besserten, mussten sie ihren Irrtum einsehen und jene Opfer verdammen, da sie nicht mit dem Denken aufgeklärter Geister zu vereinbaren sind. Ich sage aufgeklärt, weil der Menschengeist damals von dem Schleier des Stoffes verhüllt war. Kraft ihres freien Willens konnten sie einen Blick auf ihren Ursprung und ihr Ende werfen und schon erkannten viele in einem vagen Gefühl das Böse, das sie taten, begingen es aber dessen ungeachtet, um ihre Leidenschaften zu befriedigen.“

671. Was sollen wir von den sogenannten heiligen Kriegen denken? Das Streben der fanatischen Völker, die diejenige, welche ihren Glauben nicht teilen, möglichst ausrotten wollen, um Gott wohlgefällig zu sein, schiene demnach denselben Grund zu haben, wie einst die Menschenopfer?

„Von den bösen Geistern werden sie getrieben und indem sie gegen ihresgleichen Krieg führen, handeln sie gegen den Willen Gottes, der da sagt, man solle seinen Bruder lieben, wie sich selbst. Da alle Religionen oder vielmehr alle Völker denselben Gott anbeten, möge er nun diesen oder jenen Namen haben, warum gegen solche einen Vertilgungskrieg führen, weil deren Religion etwas verschieden ist oder noch nicht die Stufe der fortgeschritteneren Völker erreicht hat? Die Völker sind zu entschuldigen, wenn sie nicht an das Wort desjenigen glauben, der vom Geist Gottes beseelt und von ihm gesandt war, besonders wenn sie ihn nicht selbst sahen und Zeugen seiner Taten waren. Und wie sollen sie an jenes Wort des Friedens glauben, wenn ihr es ihnen mit dem Schwert bringt? Sie sollen aufgeklärt werden und wir sollen ihnen seine Lehre mit Überzeugung mit Sanftmut verkündigen, nicht mit Blut und Gewalt. Die meisten von euch glauben nicht an die Verbindungen, die wir mit gewissen Sterblichen pflegen: wie könnt ihr dann verlangen, dass Fremde euch aufs Wort glauben sollen, wenn euer Tun die von euch gepredigte Lehre verleugnet?“

672. Hatte das Darbringen der Früchte der Erde in Gottes Augen mehr Verdienst als die Tieropfer?

„Ich antwortete euch schon als ich sagte, dass Gott die Absicht richte und dass die Tat selbst wenig Gewicht für ihn habe. Offenbar war es Gott wohlgefälliger, sich die Früchte der Erde als das Blut der Tiere opfern zu sehen. Wie wir es auch schon sagten und es stets wiederholen, das Gebet, das vom Herzen kommt, ist Gott hundertmal wohlgefälliger als alle Gaben, die ihr ihm darbringen könnt. Ich wiederhole, an der Absicht liegt alles, an der Handlung nichts.“

673. Gäbe es nicht ein Mittel, diese Gaben Gott wohlgefälliger zu machen, indem man sie der Unterstützung derjenigen widmete, denen das Notwendige fehlt und wäre in diesem Fall das Opfern von Tieren, zu einem nützlichen Zweck ausgeführt, nicht ein verdienstliches Werk, während es ein Missbrauch wäre, wenn es zu nichts nützte oder nur solchen Leuten Nutzen brächte, die an nichts Mangel leiden? Läge nicht etwas wahrhaft Frommes darin, den Armen die Erstlinge zu widmen, die Gott uns auf Erden schenkt?

„Gott segnet stets die, welche Gutes tun: die Armen und die Betrübten unterstützen ist das beste Mittel, ihn zu ehren. Ich sage deswegen nicht, dass Gott die Zeremonien verdammt, die ihr begeht, wenn ihr zu ihm betet, aber es könnte da viel Geld auf nützlichere Weise angewandt werden. Gott liebt in allem die Einfachheit. Der Mensch, der sich ans Äußere und nicht ans Herz hält, ist ein beschränktes Wesen und nun urteilt selbst, ob Gott sich mehr an die Form als an das Wesen halten wird.“