Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Von den Opfern

669. Die Sitte der Menschenopfer reicht bis ins Altertum zurück. Wie kamen wohl die Menschen auf den Glauben, dass solche Dinge Gott wohlgefällig sein könnten?
„Zunächst weil sie Gott nicht als die Quelle des Guten erkannten. Bei den frühesten Völkern hat der Stoff die Oberhand über den Geist, sie lassen sich hinreißen von den tierischen Trieben. Darum sind sie im allgemeinen grausam, denn der moralische Sinn ist in ihnen noch nicht entwickelt. Sodann mussten jene Menschen natürlich annehmen, dass ein beseeltes Wesen in den Augen Gottes einen viel höheren Wert habe, als ein stofflicher Körper. Das veranlasste sie zunächst, Tiere zu opfern und später auch Menschen, da sie ja, nach ihrem verkehrten Glauben dachten, dass der Wert des Opfers im Verhältnis stehe zur Wichtigkeit des Geopferten. Im stofflichen Leben, wie ihr es meist führt, wählt ihr eure Geschenke immer so, dass sein Wert im Verhältnis steht zu dem Grad von Zuneigung und Achtung, die ihr dem Betreffenden bezeugen wollt. So musste es sich auch mit dem in Beziehung auf Gott unwissenden Menschen verhalten.“


669a. So wären also die Tieropfer den Menschenopfern vorausgegangen?
„Ohne Zweifel.“


669b. Nach dieser Auslegung hätten also die Menschenopfer ihre Quelle nicht in dem Gefühl der Grausamkeit?
„Nein, sondern in einer falschen Vorstellung, Gott wohlgefällig zu sein: Seht den Abraham. In der Folge missbrauchten die Menschen jene falsche Vorstellung, um ihre Feinde, selbst ihre Privatfeinde zu opfern. Übrigens forderte Gott nie ein Opfer, weder Tier – noch Menschenopfer. Er kann unmöglich geehrt werden durch die unnütze Vernichtung seines eigenen Geschöpfs.“


670. Konnten die in frommer Absicht dargebrachten Menschenopfer zuweilen Gott wohlgefällig sein?
„Nein, niemals; aber Gott richtet die Absicht. Wenn die Menschen unwissend waren, so konnten sie eine löbliche Tat zu begehen wähnen, indem sie einen ihresgleichen opferten. In diesem Fall hielt sich Gott nur an die Absicht, nicht an die Tat. Wie sich die Menschen besserten, mussten sie ihren Irrtum einsehen und jene Opfer verdammen, da sie nicht mit dem Denken aufgeklärter Geister zu vereinbaren sind. Ich sage aufgeklärt, weil der Menschengeist damals von dem Schleier des Stoffes verhüllt war. Kraft ihres freien Willens konnten sie einen Blick auf ihren Ursprung und ihr Ende werfen und schon erkannten viele in einem vagen Gefühl das Böse, das sie taten, begingen es aber dessen ungeachtet, um ihre Leidenschaften zu befriedigen.“


671. Was sollen wir von den sogenannten heiligen Kriegen denken? Das Streben der fanatischen Völker, die diejenige, welche ihren Glauben nicht teilen, möglichst ausrotten wollen, um Gott wohlgefällig zu sein, schiene demnach denselben Grund zu haben, wie einst die Menschenopfer?
„Von den bösen Geistern werden sie getrieben und indem sie gegen ihresgleichen Krieg führen, handeln sie gegen den Willen Gottes, der da sagt, man solle seinen Bruder lieben, wie sich selbst. Da alle Religionen oder vielmehr alle Völker denselben Gott anbeten, möge er nun diesen oder jenen Namen haben, warum gegen solche einen Vertilgungskrieg führen, weil deren Religion etwas verschieden ist oder noch nicht die Stufe der fortgeschritteneren Völker erreicht hat? Die Völker sind zu entschuldigen, wenn sie nicht an das Wort desjenigen glauben, der vom Geist Gottes beseelt und von ihm gesandt war, besonders wenn sie ihn nicht selbst sahen und Zeugen seiner Taten waren. Und wie sollen sie an jenes Wort des Friedens glauben, wenn ihr es ihnen mit dem Schwert bringt? Sie sollen aufgeklärt werden und wir sollen ihnen seine Lehre mit Überzeugung mit Sanftmut verkündigen, nicht mit Blut und Gewalt. Die meisten von euch glauben nicht an die Verbindungen, die wir mit gewissen Sterblichen pflegen: wie könnt ihr dann verlangen, dass Fremde euch aufs Wort glauben sollen, wenn euer Tun die von euch gepredigte Lehre verleugnet?“



672. Hatte das Darbringen der Früchte der Erde in Gottes Augen mehr Verdienst als die Tieropfer?
„Ich antwortete euch schon als ich sagte, dass Gott die Absicht richte und dass die Tat selbst wenig Gewicht für ihn habe. Offenbar war es Gott wohlgefälliger, sich die Früchte der Erde als das Blut der Tiere opfern zu sehen. Wie wir es auch schon sagten und es stets wiederholen, das Gebet, das vom Herzen kommt, ist Gott hundertmal wohlgefälliger als alle Gaben, die ihr ihm darbringen könnt. Ich wiederhole, an der Absicht liegt alles, an der Handlung nichts.“


673. Gäbe es nicht ein Mittel, diese Gaben Gott wohlgefälliger zu machen, indem man sie der Unterstützung derjenigen widmete, denen das Notwendige fehlt und wäre in diesem Fall das Opfern von Tieren, zu einem nützlichen Zweck ausgeführt, nicht ein verdienstliches Werk, während es ein Missbrauch wäre, wenn es zu nichts nützte oder nur solchen Leuten Nutzen brächte, die an nichts Mangel leiden? Läge nicht etwas wahrhaft Frommes darin, den Armen die Erstlinge zu widmen, die Gott uns auf Erden schenkt?
„Gott segnet stets die, welche Gutes tun: die Armen und die Betrübten unterstützen ist das beste Mittel, ihn zu ehren. Ich sage deswegen nicht, dass Gott die Zeremonien verdammt, die ihr begeht, wenn ihr zu ihm betet, aber es könnte da viel Geld auf nützlichere Weise angewandt werden. Gott liebt in allem die Einfachheit. Der Mensch, der sich ans Äußere und nicht ans Herz hält, ist ein beschränktes Wesen und nun urteilt selbst, ob Gott sich mehr an die Form als an das Wesen halten wird.“