Das Buch der Geister

Allan Kardec

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KAPITEL XI
DREI REICHE

1. Mineralien und Pflanzen.
– 2. Tiere und der Mensch. – 3. Seelenwanderung


Mineralien und Pflanzen.

585. Was haltet ihr von der Einteilung der Natur in drei Reiche oder auch in zwei Klassen: Organische und anorganische Wesen. Einige bilden aus dem Menschengeschlecht eine vierte Klasse. Welche dieser Einteilungen ist vorzuziehen?

„Sie sind alle gut; es kommt auf den Gesichtspunkt an. In stofflicher Beziehung gibt es nur organische und anorganische Wesen. Unter dem moralischen Gesichtspunkt gibt es augenscheinlich vier Stufen.“

Diese vier Stufen haben in der Tat entscheidende Merkmale, wenn auch ihre Grenzen ineinander zu fließen scheinen. Der träge Stoff, der das Mineralreich bildet, besitzt nur eine mechanische Kraft. Die Pflanzen, die aus trägem Stoff gebildet sind, sind mit Lebenskraft begabt. Die Tiere, aus trägem Stoff gebildet und mit Lebenskraft begabt, besitzen außerdem eine instinktartige, beschränkte Intelligenz, verbunden mit dem Bewusstsein ihres Daseins und ihrer Individualität. Der Mensch, welcher alles besitzt, was in den Pflanzen und Tieren liegt, beherrscht alle anderen Klassen durch seine besondere, unbeschränkte Intelligenz, die ihm das Bewusstsein von seiner Zukunft, die Erkenntnis außerstofflicher Dinge und Gottes gewährt.

586. Haben die Pflanzen ein Bewusstsein ihres Daseins?

„Nein, sie denken nicht, sie besitzen nur ein organisches Leben.“ *


* In der französischen 2. Auflage (1860) war zu lesen: „Nein, sie denken nicht. Sie besitzen nur ein organisches und intuitives Leben“. Später hat Allan Kardec den Begriff „intuitives“ aus Verständlichkeitsgründen herausgenommen. (Anmerkung der Übersetzer)


587. Haben die Pflanzen Empfindung? Leiden sie, wenn man sie verstümmelt?

„Die Pflanzen empfangen physische Eindrücke, die auf den Stoff wirken, aber sie haben keine Wahrnehmung, folglich haben sie keine Empfindung des Schmerzes.“

588. Ist die Kraft, welche die Pflanzen zueinander hinzieht, unabhängig von ihrem Willen?

„Ja, da sie ja nicht denken. Es ist eine mechanische Kraft des Stoffes, die auf den Stoff wirkt. Sie können derselben nicht widerstehen.

589. Gewisse Pflanzen, wie die Sinnpflanze und die Fliegenfalle z. B. haben Bewegungen, die eine große Empfindlichkeit verraten und in gewissen Fällen auch eine Art von Willen, wie die letztere, deren Lappen die Fliege ergreifen, die sich auf sie setzt, um ihren Saft zu saugen und der sie eine Falle zu stellen scheint, um sie zu töten. Sind diese Pflanzen mit der Fähigkeit des Denkens begabt? Haben sie einen Willen und bilden sie eine Zwischenklasse zwischen den Pflanzen und dem Tierreich? Sind sie ein Übergang von einem zum anderen?

„Alles in der Natur ist Übergang, schon dadurch, dass nichts sich gleicht und doch alles sich erhält. Die Pflanzen denken nicht und haben folglich keinen Willen. Die sich öffnende Auster und alle Tierpflanzen denken nicht. Es ist nur ein blinder und natürlicher Instinkt.“

Der menschliche Organismus liefert uns Beispiele ähnlicher Bewegungen ohne Beteiligung des Willens, wie bei den Verdauungsprozessen. Der untere Magenmund schließt sich bei Berührung gewisser Körper, um ihnen den Durchpass zu verweigern. Ebenso muss es sich mit der Sinnpflanze verhalten, bei der die Bewegungen keineswegs die Notwendigkeit einer Wahrnehmung und noch weniger eines Willens bedingen.

590. Liegt nicht in den Pflanzen wie in den Tieren ein Erhaltungsinstinkt, der sie antreibt, das ihnen Nützliche aufzusuchen und das Schädliche zu meiden?

„Es ist dies in der Tat, wenn man will, eine Art Instinkt. Je nach der Ausdehnung des Sinnes dieses Wortes; aber er ist rein mechanischer Natur. Wenn ihr in der Chemie zwei Körper sich verbinden seht, so geschieht dies, weil sie sich entsprechen, d. h. weil eine Verwandtschaft zwischen beiden vorhanden ist. Und doch nennt ihr das nicht Instinkt.“

591. Sind auf den höheren Welten die Pflanzen wie die anderen Wesen vollkommenerer Natur?

„Alles ist vollkommener; aber die Pflanzen sind stets Pflanzen, wie die Tiere stets Tiere und die Menschen Menschen bleiben.“

Tiere und der Mensch.

592. Wenn wir Menschen und Tiere unter dem Gesichtspunkt der Intelligenz vergleichen, so scheint die Scheidelinie schwer zu ziehen, denn gewisse Tiere haben darin eine augenscheinliche Überlegenheit gegenüber gewissen Menschen. Kann nun diese Grenzlinie nicht ganz scharf gezogen werden?

„Hierüber sind eure Philosophen kaum einerlei Meinung: Nach dem einen soll der Mensch ein Tier, nach dem anderen das Tier ein Mensch sein. Beide Teile haben Unrecht. Der Mensch ist ein für sich bestehendes Wesen, das sich zuweilen sehr tief erniedrigt, das sich aber auch sehr hoch erheben kann. Leiblich genommen ist der Mensch wie die Tiere, ja noch weniger reich ausgestattet als manche unter ihnen. Die Natur gab ihnen alles, was der Mensch zur Befriedigung seiner Bedürfnisse und zu seiner Erhaltung erst mit seinem Verstand erfinden muss. Sein Leib vergeht zwar wie der der Tiere, aber sein Geist hat eine Bestimmung, die er allein begreifen kann, weil er allein ganz frei ist. Arme Menschen, die ihr euch unter das Tier erniedrigt! Vermögt ihr euch nicht von ihm zu unterscheiden? Erkennt den Menschen an dem Gedanken Gottes.“

593. Kann man sagen, dass die Tiere nur aus Instinkt handeln?

„Auch dies ist wieder nur System. Allerdings herrscht der Instinkt bei den meisten Tieren vor; siehst du aber nicht andere, die einen entschlossenen Willen zeigen? Das ist Intelligenz, aber sie ist beschränkt.“

Außer dem Instinkt könnte man gewissen Tieren kombiniertes Handeln nicht absprechen, das einen auf einen bestimmten Gegenstand und den Umständen entsprechenden Willen dartut. Sie besitzen also eine Art Intelligenz, deren Äußerung jedoch fast ausschließlich auf Befriedigung ihrer Bedürfnisse und auf Selbsterhaltung gerichtet ist. Bei ihnen gibt es keine schöpferische Kraft, keine Verbesserung. Wie groß auch die bewunderungswürdige Kunst ihrer Arbeiten sei, was sie einst taten, tun sie noch heute, weder besser noch schlechter und stets in denselben unveränderlichen Formen und Verhälnissen. Das Junge, das von Seinesgleichen getrennt ist, baut nichts desto weniger sein Nest nach dem alten Muster, ohne je Unterricht empfangen zu haben. Wenn einige einer gewissen Erziehung zugänglich sind, so verdanken sie doch ihre Verstandesentwickelung, die eingeschlossen bleibt, der Einwirkung des Menschen auf ihre biegsame Natur; denn es gibt hier keinen Fortschritt, der von ihnen selbst ausginge. Letzterer aber ist nur vorübergehend und rein individuell, denn das sich selbst überlassene Tier kehrt sofort wieder in die ihm von der Natur gezogenen Grenzen zurück.

594. Haben die Tiere eine Sprache?

”Wenn ihr eine aus Wörtern und Silben gebildete Sprache meint, nein; wenn aber ein Mittel sich untereinander mitzuteilen, ja. Sie sagen sich viel mehr Dinge, als ihr nur glaubt; aber ihre Sprache ist, wie ihre Vorstellungen, auf ihre Bedürfnisse beschränkt.“

594a. Es gibt Tiere ohne Stimme: diese scheinen keine Sprache zu besitzen?

„Sie verstehen sich durch andere Mittel. Habt ihr Menschen auch nur die Sprache, um euch mitzuteilen? Und die Stummen, was ist mit diesen? Die Tiere haben in ihrem Verkehr miteinander Mittel sich zu warnen und sich ihre Empfindungen auszudrücken. Glaubst du, die Fische verstehen sich nicht untereinander? Der Mensch besitzt somit nicht das ausschließliche Vorrecht der Sprache. Die Sprache der Tiere aber ist eine instinktmäßige und auf den Kreis ihrer Bedürfnisse und Vorstellungen beschränkt, während die des Menschen vervollkommnungsfähig ist und alle Errungenschaften seiner Intelligenz auszudrücken vermag.“

In der Tat müssen die in Massen wie die Schwalben auswandernden Fische, wenn sie einem Führer folgen, die Mittel haben, sich zu verständigen und zu warnen. Vielleicht geschieht dies durch ein schärferen Blick, der ihnen die Zeichen, die sie sich geben, zu sehen erlaubt; vielleicht auch vermittelt ihnen das Wasser gewisse Schwingungen. Jedenfalls haben sie ein Mittel, sich zu verständigen, wie alle Tiere, die der Stimme beraubt sind und doch ihre Arbeiten gemeinsam verrichten. Darf man sich da wundern, dass die Geister sich gegenseitig mitteilen können, ohne an das artikulierte Wort gebunden zu sein. (282.)

595. Besitzen die Tiere Wahlfreiheit in ihrem Tun?

„Sie sind keine bloßen Maschinen, wie ihr meint. Aber die Freiheit ihres Tuns ist auf ihre Bedürfnisse beschränkt und bietet keinen Vergleich mit der des Menschen. Da sie tief unter ihm stehen, haben sie nicht dieselben Pflichten. Ihre Freiheit beschränkt sich auf das Tun des materiellen Lebens.“

596. Woher kommt die Befähigung gewisser Tiere, die Sprache des Menschen nachzuahmen und warum kommt dieselbe eher bei den Vögeln z. B. als beim Affen vor, dessen Gestalt der des Menschen am ähnlichsten ist?

„Besondere Bildung der Sprachwerkzeuge, unterstützt vom Nachahmungstrieb. Der Affe ahmt die Bewegungen, gewisse Vögel ahmen die Stimme nach.“

597. Da die Tiere einen Verstand haben, der ihnen eine gewisse Freiheit des Tuns gewährt, gibt es da in ihnen wohl auch ein vom Stoff abhängiges Prinzip?

„Ja, und zwar eines, das den Leib überlebt.“

597a. Ist dieses Prinzip eine Seele, die der des Menschen ähnlich ist?

„Es ist auch eine Seele wenn ihr so wollt: das hängt vom Sinn ab, den man dem Wort beilegt; aber sie ist niedriger als die des Menschen.“

598. Bewahrt die Tierseele nach dem Tod ihre Individualität und ihr Bewusstsein?

„Die Individualität, ja, aber nicht das Bewusstsein ihres Ichs. Das Leben der Intelligenz bleibt latent.“

599. Hat die Tierseele die Wahl, sich in ein beliebiges Tier zu inkarnieren?

„Nein, sie hat keine Wahlfreiheit.“

600. Ist die den Leib überlebende Tierseele nach dem Tod in einem herumirrenden, wandernden Zustand, wie die des Menschen?

„Es ist eine Art von Herumirren, da sie nun an keinen Leib gebunden ist. Ein herumirrender Geist aber ist sie nicht. Der Wandergeist ist ein Wesen, das dank seines freien Willens denkt und handelt; die Tierseele hat diese Fähigkeit nicht. Das seiner selbst Bewusstsein ist die hauptsächlichste Eigenschaft des Geistes. Dem Geist des Tieres wird nach dem Tod von den Geistern, die dies angeht, seine Stelle angewiesen und er wird fast augenblicklich nutzbar gemacht: Er hat nicht Muse, sich mit anderen Geschöpfen in Beziehung zu setzen.“

601. Folgen die Tiere einem Gesetz des Fortschrittes wie die Menschen?

„Ja, und darum sind auf den höheren Welten, wo die Menschen weiter fortgeschritten sind, es auch die Tiere, indem sie entwickeltere Mitteilungsmittel besitzen. Aber sie sind stets dem Menschen untergeordnet und untertan; für ihn sind sie verständige Diener.“

Es liegt hierin nichts Außerordentliches. Denken wir uns unsere verständigsten Tiere, den Hund, den Elefanten, das Pferd mit einer zur Handarbeit geeigneten Gestalt, was könnten sie nicht alles unter der Leitung des Menschen leisten?

602. Schreiten die Tiere, sowie die Menschen, Kraft ihres Willens oder vermöge der Kraft der Sache fort?

„Kraft der Sache: Darum gibt es für sie keine Buße oder Sühne.“

603. Kennen auf den höheren Welten die Tiere Gott?

„Nein, der Mensch ist ihnen ein Gott, wie einst den Menschen die Geister Götter waren.“

604. Da die Tiere, selbst die vollkommnensten auf den höheren Welten, immer niedriger sind als der Mensch, so würde daraus folgen, dass Gott intelligente Wesen geschaffen hätte, die auf immer der Niedrigkeit verfallen wären, was mit der Einheit des Plans und des Fortschritts nicht übereinzustimmen scheint, die man in allen seinen Werken bemerkt?

„Alles ist in der Natur durch Bande verbunden, die ihr noch nicht fassen könnt und auch die scheinbar verschiedenartigsten Dinge haben Berührungspunkte, die der Mensch in seinem jetzigen Zustand nie begreifen wird. Er kann sie ahnen, Kraft seiner Vernunft, aber erst wenn diese ihre volle Entwicklung gewonnen hat und von den Vorurteilen des Hochmuts und der Unwissenheit befreit sein wird, wird sie einen klaren Blick in das Werk Gottes tun können. Bis dann wird sein beschränkter Geist ihn die Dinge in einem engen und kleinlichen Licht erscheinen lassen. Wisset wohl, dass Gott sich nicht widersprechen kann und dass alles in der Natur, kraft allgemeiner Gesetze, im Einklang steht, die sich nie von der erhabenen Weisheit des Schöpfers entfernen.“

604a. So wäre also die Intelligenz eine gemeinschaftliche Eigenschaft, ein Berührungspunkt zwischen der Tier- und der Menschen-Seele?

„Ja, aber die Tiere haben nur die Intelligenz des stofflichen Lebens; dem Menschen bringt die Intelligenz das moralische Leben.“

605. Wenn man alle Berührungspunkte zwischen dem Menschen und den Tieren in Betracht zieht, könnte man nicht meinen, der Mensch besitze zwei Seelen. Eine Tierseele und eine Geistseele und dass, wenn er die letztere nicht hätte, er wie ein Tier leben könnte? Mit anderen Worten, dass das Tier ein dem Menschen ähnliches Wesen sei, die Geistseele ausgenommen? Es würde daraus folgen, dass die guten und die bösen Instinkte die Wirkung des Vorherrschens der einen oder der anderen dieser beiden Seelen wäre.

„Nein, der Mensch hat nicht zwei Seelen; aber der Leib hat seine Instinkte, die die Folge der Empfindungen der Organe sind. Es gibt in ihm nur eine doppelte Natur: die Tierische und die Geistige. Durch seinen Leib nimmt er teil an der Natur der Tiere und ihren Instinkten, durch seine Seele an derjenigen der Geister.“

605a. So hat er, abgesehen von den eigenen Unvollkommenheiten, deren der Geist sich entledigen soll, auch noch gegen den Einfluss des Stoffes zu kämpfen?

„Ja, je niedriger er ist, desto enger sind die Bande zwischen Geist und Stoff geknüpft. Seht ihr es denn nicht? Der Mensch hat nicht zwei Seelen: Die Seele ist stets nur eine in einem Wesen. Tier- und Menschen-Seele unterscheiden sich so, dass die eine nicht einen für die andere geschaffenen Leib beseelen könnte. Hat aber der Mensch auch nicht eine Tierseele, die ihn durch ihre Leidenschaften den Tieren gleichstellt, so hat er doch seinen Leib, der ihn zuweilen bis auf ihre Stufe herabdrückt. Denn sein Leib ist ein mit Lebenskraft begabtes Wesen, welches Instinkte besitzt, die aber blind sind und sich auf seine Erhaltung beschränken.“

Indem sich der Geist in den Menschenleib inkarniert, teilt er ihm das Prinzip der Intelligenz und der Moral mit, das ihn über die Tiere erhebt. Diese beiden im Menschen liegenden Naturen geben seinen Leidenschaften zwei verschiedene Quellen: die einen stammen aus den Instinkten seiner tierischen Natur, die anderen aus der Unreinheit des Geistes, dessen Inkarnation er ist und der mehr oder weniger mit den grob tierischen Trieben sympathisiert. Indem sich der Geist reinigt, befreit er sich nach und nach vom Einfluss des Stoffes. Unter des Stoffes Einfluss nähert er sich dem Tier, befreit von diesem Einfluss erhebt er sich zu seiner wahren Bestimmung.

606. Wo schöpfen die Tiere das intelligente Prinzip, das die besondere Art von Seele bildet, mit der sie begabt sind?

„In dem universellen intelligenten Element.“

606a. Also entfließt der Menschen und der Tiere Intelligenz einem einzigen Prinzip?

„Ohne allen Zweifel, aber im Menschen hat es eine Ausbildung empfangen, die es über diejenige der Tiere erhebt.“

607. Es wurde gesagt, dass die Seele des Menschen bei ihrem Ursprung der Zustand der Kindheit im leiblichen Leben sei, dass seine Intelligenz kaum sich entfaltet und dass sie sich erst im Leben versucht. (190.) Wo erfüllt der Geist diese erste Phase?

„In einer Reihe von Existenzen, die der Periode, die ihr die Menschheit nennt, vorangehen.“

607a. So wäre also die Seele das intelligente Prinzip der niedrigeren Wesen der Schöpfung gewesen?

„Sagten wir nicht, dass alles in der Natur sich aneinander schließt und zur Einheit hinstrebt? In diesen Wesen, die ihr bei weitem nicht alle kennt, arbeitet sich das intelligente Prinzip heraus, individualisiert sich nach und nach und versucht sich, wie gesagt, zum Leben. Es ist gewissermaßen eine Vorarbeit zum Keimen, infolge deren das intelligente Prinzip eine Umwandlung erfährt und Geist wird. Dann beginnt für dasselbe die Periode der Menschheit und damit das Bewusstsein seiner Zukunft, die Unterscheidung zwischen gut und böse und die Verantwortlichkeit für sein Tun und Lassen, so wie auf die Periode der Kindheit die des Heranwachsens, dann die des Jünglingsalters und endlich die des reiferen Alters folgt. Es liegt übrigens in diesem Ursprung nichts, das den Menschen demütigen könnte. Werden die großen Genies dadurch gedemütigt, dass sie einst unförmige Föten im Mutterleib waren? Wenn etwas ihn demütigen sollte, so wäre es seine Niedrigkeit vor Gott und seine Ohnmacht, die Tiefe seiner Pläne und die Weisheit der Gesetze zu ergründen, welche die Harmonie des Universums regieren. Erkennt die Größe Gottes an dieser wunderbaren Harmonie, welche macht, dass alles in der Natur ineinandergreift. Glauben, dass Gott irgend etwas ohne Zweck hätte tun und intelligente Wesen ohne Zukunft hätte schaffen können, hieße seine Güte lästern, die sich über alle seine Geschöpfe erstreckt.“

607b. Beginnt jene Periode der Menschheit auf unserer Erde?

„Die Erde ist nicht der Ausgangspunkt der ersten menschlichen Inkarnation. Die Periode der Menschheit beginnt im allgemeinen auf noch niedrigeren Welten. Das ist jedoch keine unbedingte Regel und es könnte geschehen, dass ein Geist gleich bei seinem ersten menschlichen Auftreten geeignet wäre zum Leben auf Erden. Dieser Fall ist nicht häufig und wäre eher eine Ausnahme.“

608. Hat der Geist des Menschen nach dem Tod ein Bewusstsein von den Existenzen, die für ihn der Periode der Menschheit vorangingen?

„Nein, denn erst mit dieser Periode beginnt für ihn sein Leben als Geist und selbst seiner ersten Existenzen als Mensch erinnert er sich kaum, gerade so wie der Mensch sich nicht mehr seiner Kindheit und noch weniger seines Lebens im Mutterleib erinnert. Darum sagen auch die Geister, sie wissen nicht, wie sie angefangen hätten.“ (78.)

609. Wenn der Geist einmal in die Periode der Menschheit eingetreten ist, bewahrt er dann die Spuren dessen, was er früher gewesen ist, d.h. des Zustandes, in welchem er in der Zeit seiner Vormenschlichkeit, könnte man sagen, gewesen war?

„Das hängt von der Entfernung, welche die beiden Perioden trennt und von den gemachten Fortschritten ab. Während einiger Generationen kann ein mehr oder weniger deutlicher Widerschein des ursprünglichen Zutandes sich zeigen, denn nichts in der Natur macht sich mit plötzlichen Sprüngen. Es gibt stets Ringe, welche die Enden der Kette der Wesen und der Ereignisse verbinden; aber diese Spuren verwischen sich mit der Entwicklung des freien Willens. Die ersten Fortschritte sind langsam, da sie noch nicht vom Willen unterstützt werden, sie werden rascher in dem Maße als sich der Geist ein vollkommeneres Bewusstsein seiner selbst erwirbt.“

610. Also haben sich die Geister, welche sagten, dass der Mensch ein besonderes Wesen in der Ordnung der Schöpfung sei, geirrt?

„Nein, aber die Frage war damals noch nicht klar gestellt, es gibt übrigens Dinge, die erst zu ihrer Zeit kommen können. Der Mensch ist wirklich ein besonderes Wesen, denn er besitzt Fähigkeiten, die ihn von allen anderen unterscheiden und er hat auch eine andere Bestimmung. Das Geschlecht der Menschen ist dasjenige, welches Gott für die Inkarnation der Wesen, welche ihn erkennen können, auserwählte.“

Seelenwanderung.

611. Ist der gemeinschaftliche Ursprung der lebenden Wesen im intelligenten Prinzip nicht eine Bestätigung der Lehre von der Seelenwanderung?

„Zwei Dinge können denselben Ursprung haben und doch sich später in keiner Weise gleichen. Wer würde den Baum, seine Blätter, Blüten und Früchte im unförmigen Keim des Kernes aus dem er geworden ist, wieder erkennen? Vom Augenblick an, wo das intelligente Prinzip die Stufe erreicht hat, wo es Geist werden und in die Periode der Menschheit eintreten kann, hat es keine Beziehungen mehr zu seinem Urzustand und ist ebensowenig die Seele der Tiere, als der Baum der Kern ist. Im Menschen ist nichts mehr vom Tier als sein Leib und die Leidenschaften, die aus dessen Einfluss und dem Erhaltungsinstinkt entstehen, der dem Stoff eigen ist. Man kann also nicht sagen, dass der und der Mensch die Inkarnation des Geistes von dem und dem Tier sei. Folglich ist die Lehre von der Seelenwanderung, wie man sie versteht, ungenau.“

612. Könnte sich der Geist, der den Leib eines Menschen beseelte, in ein Tier inkarnieren?

„Das hieße rückwärts schreiten, der Geist aber schreitet nie rückwärts. Der Fluss kehrt nicht zur Quelle zurück.“

613. So irrig auch der mit der Seelenwanderung verbundene Gedanke sein mag, sollte er nicht die Folge des intuitiven Gefühls der verschiedenen Existenzen des Menschen sein?

„Dieses Gefühl findet sich in diesem Glauben wie in so manchem anderen: der Mensch hat es aber, wie die meisten seiner ursprünglichen Anschauungen, entarten lassen.“

Der Gedanke der Seelenwanderung wäre wahr, wenn man darunter den Fortschritt der Seele von einem tieferen zu einem höheren Zustand verstände, wo sie Entwicklungen durchmachte, die ihre Natur umwandeln würden. Aber er ist falsch in dem Sinne einer direkten Wanderung des Tieres in den Menschen und umgekehrt, was den Gedanken eines Rückschreitens oder einer Verschmelzung in sich schlösse. Da nun diese Verschmelzung nicht zwischen zwei leiblichen Wesen der beiden Gattungen stattfinden kann, so ist dies ein Beweis, das sie auf nicht assimilierbaren Stufen stehen und dass es sich mit den Geistern, welche jene Wesen beseelen, ebenso verhalten muss. Könnte der gleiche Geist sie abwechselnd beseelen, so folgte daraus eine Gleichheit der Natur, die sich durch die Möglichkeit stofflicher Wiedererzeugung verraten müsste. Die von den Geistern gelehrte Reinkarnation ist auf den aufsteigenden Gang der Natur und den Fortschritt des Menschen innerhalb seines Geschlechts gegründet, was ihm nichts von seiner Würde nimmt. Was ihn erniedrigt, ist der schlechte Gebrauch der ihm von Gott zu seinem Fortschreiten verliehenen Fähigkeiten. Wie dem auch sei, das Alter und die allgemeine Verbreitung der Lehre von der Seelenwanderung und die hervorragenden Menschen, die sie bekannten, beweisen, dass das Prinzip der Reinkarnation seine Wurzeln in der Natur selbst hat. Es sind also viel eher Gründe zu ihren Gunsten als zu ihren Ungunsten vorhanden.

Die Frage nach dem Ausgangspunkt des Geistes ist eine jener Fragen, die an den Ursprung der Dinge rühren und deren Geheimnis uns Gott vorenthält. Dem Menschen ist nicht verliehen, sie vollständig zu lösen, er kann hier nur Vermutungen anstellen und mehr oder weniger wahrscheinliche Systeme aufbauen. Die Geister selbst sind weit davon entfernt, alles zu wissen. Über das, was sie nicht kennen, können sie auch nur mehr oder weniger vernünftige persönliche Ansichten haben. *


* Dieser und die drei folgenden Abschnitte waren in der 2. französischen Auflage (1860) nicht aufgeführt. Allan Kardec hat sie später hinzugefügt. Dies ist in der 4. Auflage des Buches der Geister (1861) und aus nachfolgenden Auflagen ersichtlich. (Anmerkung der Übersetzer.)


So denken z.B. nicht alle gleich über die Beziehungen zwischen dem Menschen und den Tieren. Nach dem einen gelangt der Geist zu seiner menschlichen Periode erst, nachdem er sich auf den verschieden Stufen der niedrigeren Wesen der Schöpfung heraufgearbeitet und individualisiert hat. Nach anderen hätte der Geist der Menschen stets dem menschlichen Geschlecht angehört, ohne durch die Schule der Tierheit zu gehen. Das erste dieser Systeme hat den Vorzug, der Zukunft der Tiere einen Zweck vorzusetzen, so dass sie die ersten Ringe in der Kette der denkenden Wesen bilden würden. Das zweite entspricht mehr der Würde des Menschen und lässt sich in folgendem zusammenfassen.

Die verschiedenen Tiergattungen entstehen nicht in intellektueller Beziehung eine aus der anderen auf dem Weg des Fortschrittes. So wird der Geist der Auster nicht allmählich zu dem des Fisches, des Vogels, des Vierfüßlers und Vierhänders. Jede Gattung ist ein physisch und moralisch für sich bestehender Typus, von dem jedes Einzelwesen an der allgemeinen Quelle die Summe des intelligenten Prinzips schöpft, die ihm von Nöten ist, je nach der Vollkommenheit seiner Organe und dem Werk, das es in den Erscheinungen der Natur zu vollbringen hat und welche es beim Tod an die Masse zurückgibt. Die Tiere derjenigen Welten, die höher stehen als die unsrige (siehe 188.), bilden ebenfalls besondere Rassen, angepaßt den Bedürfnissen jener Welten und dem Grad des Fortschrittes der Menschen, deren Helfer sie sind, die aber keineswegs von denen der Erde abstammen – geistig gesprochen. Anders ist es mit dem Menschen. Vom physischen Gesichtspunkt aus, bildet er offenbar einen Ring in der Kette der lebendigen Wesen; aber vom moralischen Gesichtspunkt betrachtet, bricht der Zusammenhang zwischen Tier und Mensch ab. Der Mensch besitzt als sein Eigentum die Seele oder den Geist, den göttlichen Funken, der ihm den moralischen Sinn und eine Intelligenz gibt, die den Tieren fehlen. In ihm ist das Hauptsächlichste das Wesen, das vor dem Leib existiert und ihn überlebt: der Träger seiner Individualität. Was ist der Ursprung des Geistes? Wo ist sein Ausgangspunkt? Das ist ein Geheimnis, das vergeblich zu durchdringen versucht wurde und über das man, wie gesagt, nur Systeme machen kann. Was aber bleibt und was gleichzeitig aus der Vernunft und der Erfahrung hervorgeht, das ist das Fortleben des Geistes, die Bewahrung seiner Individualität nach dem Tod, seine Fähigkeit des Fortschreitens, sein glücklicher oder unglücklicher Zustand, je nach seinem Fortschritt auf dem Weg des Guten und aller moralischen Wahrheiten, die aus diesem Prinzip folgen. Was die geheimnisvollen Beziehungen zwischen dem Menschen und den Tieren betrifft, so sind sie, wir wiederholen es, das Geheimnis Gottes, wie manche andere Dinge, deren gegenwärtige Erkenntnis zu unserem Fortschreiten nichts beiträgt und in welche es unnütz wäre sich zu vertiefen.