Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Wahrnehmungen, Empfindungen und Leiden der Geister


237. Wenn die Seele einmal in der Welt der Geister ist, hat sie dann immer noch die gleichen Wahrnehmungen wie während des Lebens?
„Ja, und noch andere dazu, die sie nicht hatte, weil ihr Leib gleichsam ein, dieselben nicht durchlassender Schleier war. Die Intelligenz ist eine Eigenschaft des Geistes, der sich aber freier betätigt, wenn ihm keine Hindernisse entgegenstehen.“


238. Sind die Wahrnehmungen und Kenntnisse der Geister unendlich, mit anderen Worten: Wissen sie alles?
„Je mehr sie der Vollendung sich nähern, desto mehr wissen sie; gehören sie zu den höheren, so wissen sie viel; die niedrigeren sind mehr oder weniger unwissend in allem.“


239. Kennen die Geister das Prinzip der Dinge?
„Je nach ihrer Erhöhung und Reinheit; die niederen wissen davon nicht mehr, als die Menschen.“


240. Verstehen die Geister die Zeitdauer so wie wir?
„Nein, eben darum versteht ihr uns nicht, wenn es sich um Feststellungen von Daten und Epochen handelt.“
Die Geister leben außerhalb der Zeit, wie wir diese verstehen. Die Zeitdauer verschwindet für sie sozusagen in Nichts und die für uns so langen Jahrtausende sind in ihren Augen bloße Augenblicke, die in der Ewigkeit verschwinden, gerade so wie die Unebenheiten des Bodens sich verwischen für den, der sich in die Luft erhebt.



241. Haben die Geister eine bestimmtere und richtigere Vorstellung von der Gegenwart, als wir?
„Etwa so, wie der, welcher gut sieht, eine richtigere Vorstellung hat als der Blinde. Die Geister sehen das, was ihr nicht seht; also urteilen sie auch anders, als ihr. Aber noch einmal, das hängt von ihrer Erhöhung ab.“


242. Wie kommen die Geister zu einer Kenntnis der Vergangenheit und ist diese Kenntnis für sie eine unbegrenzte?
„Die Vergangenheit ist für uns, wenn wir uns damit beschäftigen, eine Gegenwart, genau so, wie wenn du dich einer Sache, die dir in deiner Verbannung aufgefallen ist, erinnerst. Da uns aber der stoffliche Schleier, der deinen Sinn verdunkelt, nicht mehr hindert, so erinnern wir uns an Dinge, die für dich schon ausgelöscht sind. Aber nicht alles ist den Geistern bekannt, vor allem nicht ihre Erschaffung.“


243. Kennen die Geister die Zukunft ?
„Das hängt wieder von ihrer Vollkommenheit ab: Oft sehen sie sie nur vage, aber es ist ihnen nicht immer erlaubt, sie zu schauen. Wenn sie sie sehen, so erscheint sie ihnen als Gegenwart. Je mehr er sich Gott nähert, desto deutlicher sieht der Geist die Zukunft. Nach dem Tod sieht und umfasst die Seele ihre früheren Wanderungen mit einem Blick, was aber Gott ihr bereitet, vermag sie nicht zu sehen; dazu gehört, dass sie ganz in ihm sei nach sehr vielen Existenzen erst.“


243a. Haben die zur völligen Vollkommenheit gelangten Geister eine vollständige Kenntnis der Zukunft?
„Vollständig ist hier nicht der rechte Ausdruck; denn Gott allein ist der unumschränkte Herr und keiner kommt ihm gleich.“



244. Schauen die Geister Gott?
„Nur die höheren Geister schauen und begreifen ihn, die niederen fühlen und ahnen ihn.“


244a. Wenn ein niederer Geist sagt, Gott verbiete oder erlaube ihm etwas, wie weiß er dann, dass dies von Gott kommt?
„Er sieht Gott nicht, aber er fühlt seine Herrschaft und wenn etwas nicht getan oder gesagt werden darf, so fühlt er etwas wie eine vage Anschauung, eine unsichtbare Warnung, die es ihm verbietet. Habt nicht auch ihr selbst Vorahnungen, die euch als geheime Warnungen dies oder jenes zu tun oder zu lassen, dienen? So ist es bei uns, nur auf einer höheren Stufe, denn du begreifst, dass, da das Wesen der Geister feiner ist, als das eurige, sie auch die göttlichen Weisungen besser empfangen können.“


244b. Wird ihm der Befehl unmittelbar von Gott oder durch Vermittlung anderer Geister erteilt?
„Er kommt ihm nicht direkt von Gott. Um mit ihm zu verkehren, muss man dessen auch würdig sein. Gott übermittelt ihm seine Befehle durch Geister, die auf einer höheren Stufe der Vollkommenheit und Erkenntnis stehen.“


245. Ist der Sehsinn bei den Geistern beschränkt, wie bei den leiblichen Wesen?
„Nein, er wohnt in ihnen selbst.“


246. Bedürfen die Geister des Lichtes, um zu sehen?
„Sie sehen durch sich selbst und bedürfen des äusseren Lichtes nicht. Für sie gibt es keine Finsternis, außer derjenigen, in welcher sie sich selbst etwa zur Sühne befinden mögen.“


247. Müssen die Geister sich fortbewegen, um auf zwei verschiedene Punkte blicken zu können? Können sie z. B. gleichzeitig beide Halbkugeln der Erde sehen?

„Da sich der Geist mit der Schnelligkeit des Gedankens fortbewegt, so kann man sagen, er sehe überall zugleich. Sein Gedanke kann sich ausstrahlen und sich gleichzeitig auf verschiedene Punkte richten. Aber die Befähigung hängt von seiner Reinheit ab: je weniger er gereinigt ist, desto beschränkter sein Blick. Nur die höheren Geister können eine Gesamtheit umfassen.“

Die Fähigkeit zu sehen, ist bei den Geistern eine ihrer Natur inne – wohnende Eigenschaft, die in ihrem ganzen Wesen liegt, wie das Licht in allen Teilen eines leuchtenden Körpers. Es ist eine Art von universeller Lichtheit oder Helle, die sich über alles ausbreitet, gleichzeitig Raum, Zeit und Dinge umfasst und für die es weder Finsternis, noch stoffliche Hindernisse gibt. Man sieht ein, dass dies so sein muss: Der Mensch, dessen Sehkraft auf dem Spiel eines vom Licht getroffenen Organs beruht, befindet sich ohne Licht in der Finsternis; beim Geist dagegen, dessen Sehkraft eine Eigenschaft seiner selbst ist und keines äußeren Auges bedarf, hängt sie nicht mehr vom Licht ab (Siehe: Kapitel ,,Allgegenwart“ Frage Nr. 92).



248. Sieht der Geist die Dinge ebenso deutlich wie wir?
„Deutlicher; denn sein Auge durchdringt auch das, was ihr nicht zu durchdringen vermögt, es wird von nichts verdunkelt.“


249. Nimmt der Geist auch Töne wahr?
„Ja und zwar auch solche, die eure stumpfen Sinne nicht wahrnehmen können.“


249a. Liegt die Fähigkeit zu hören, in seinem ganzen Wesen, so wie die Fähigkeits des Sehens?
„Alle Wahrnehmungen sind Eigenschaften des Geistes und machen einen Teil seines Wesens aus. Wenn er mit einem stofflichen Leib bekleidet ist, so gelangen sie zu ihm nur durch die Vermittlung seiner Organe; im Zustand der Freiheit dagegen sind sie nicht mehr auf ein Organ beschränkt.“



250. Ist es dem Geist möglich, sich seinen Wahrnehmungen zu entziehen, da diese doch die Eigenschaften seiner selbst sind?
„Der Geist sieht und hört nur das, was er will. Dies ist aber allgemein gesprochen und bezieht sich hauptsächlich auf die höheren Geister; denn die unvollkommenen hören und sehen oft ohne zu wollen, was ihnen zu ihrer Besserung nützen kann.“


251. Sind die Geister auch empfänglich für Musik?
„Meinst du eure Musik? Was ist die gegen die himmlische? Gegen jene Harmonien, von denen euch nichts auf dieser Erde eine Vorstellung geben kann? Die eine verhält sich zur anderen wie das unharmonische Geräusch zu einer lieblichen Melodie. Indessen können gemeine Geister ein gewisses Vergnügen an eurer Musik empfinden, weil es ihnen noch nicht gegeben ist, eine erhabenere zu verstehen. Die Musik hat für die Geister einen unendlichen Reiz, wegen der sehr hohen Entwicklung ihrer Empfindungsfähigkeit; ich meine damit die himmlische Musik, welche das Schönste und Lieblichste ist, das eine geistige Einbildungskraft sich vorstellen kann.“


252. Sind die Geister auch empfänglich für die Schönheiten der Natur?
„Die Naturschönheiten der Weltkörper sind so verschiedenartig, dass man weit entfernt ist, sie alle zu kennen. Ja, die Geister sind dafür empfänglich, je nach ihrer Entwicklung. Für die höheren Geister gibt es Gesamtschönheiten, vor denen die Einzelheiten sich sozusagen verwischen.“


253. Empfinden die Geister unsere physischen Bedürfnisse und Leiden?

„Sie kennen sie, weil sie sie selbst einst empfanden, sie fühlen sie aber nicht so wie ihr in stofflicher Weise, sie sind eben Geister.“


254. Fühlen die Geister die Ermüdung und das Bedürfnis nach Ruhe?
„Ermüdung, wie ihr sie versteht, können sie nicht empfinden, also haben sie auch kein Bedürfnis nach eurer körperlichen Ruhe, da sie keine Organe besitzen, deren Kräfte erneuert werden müssten. Aber der Geist ruht sich in dem Sinne aus, dass er nicht in einer fortwährenden Tätigkeit ist. Er betätigt sich nicht auf stoffliche Art, sein Tun ist rein intellektuell und moralisch, d. h. es gibt Augenblicke, wo sein Denken nicht mehr so tätig ist und sich auf keinen bestimmten Gegenstand richtet. Es ist dies eine wirkliche Ruhe, die sich aber nicht mit der des Leibes vergleichen lässt. Die Ermüdungsfähigkeit der Geister steht im Verhältnis zu ihrer tieferen Stufe; denn je höher sie stehen, desto weniger bedürfen sie der Ruhe.“


255. Wenn ein Geist sagt, er leide, was für eine Art Leiden empfindet er dann?
„Moralische Angst, die ihn stärker quält, als leibliche Schmerzen.“


256. Wie konnten sich denn Geister über Kälte oder Hitze beklagen?
„Das sind Erinnerungen an das, was sie bei Leibesleben empfanden, welche oft gerade so schmerzlich sind, als die Wirklichkeit. Oft ist es eine Vergleichung, durch die sie, in Ermangelung eines Besseren, ihre Lage ausdrücken. Wenn sie sich ihres Leibes erinnern, haben sie den Eindruck etwa wie wenn man den Mantel ablegt und ihn doch noch eine Zeitlang zu tragen meint.“