Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Ferner gibt es Leute, die überall Gefahr wittern, namentlich bei allem, was ihnen nicht bekannt ist; so sind sie auch rasch bei der Hand, daraus eine ungünstige Folgerung für den Spiritismus abzuleiten, dass einzelne Personen, die sich diesen Studien widmeten, den Verstand dabei verloren haben. Wie können nur vernünftige Menschen in diesen Tatsachen einen ernsten Einwand erblicken? Ist es nicht ebenso mit allen geistigen Beschäftigungen ausschließlicher Art bei einem schwachen Gehirn? Kennen wir denn die Zahl der Narren und Verrückten, welche durch mathematische, medizinische, musikalische, philosophische und andere Studien ihren Verstand verloren haben? Darf man deshalb diese Studien verbannen? Was beweist das? Durch körperliche Arbeiten erlahmen Arme und Beine, die Instrumente materieller Betätigung. Durch geistige Arbeit ermüdet das Gehirn, das Instrument unserer Gedanken. Aber wenn das Instrument zerbrochen ist, so ist es darum nicht der Geist: er ist unversehrt, und wenn er von der Materie befreit ist, so genießt er darum nicht weniger den Vollbestand seiner Fähigkeiten. Er ist in seiner Art, so lange er noch Mensch ist, ein Märtyrer der Arbeit.


Alle großen ausschließlichen Beschäftigungen des Geistes können Wahnsinn verursachen: Wissenschaften, Künste, ja selbst die Religion ist davon betroffen. Der Wahnsinn hat zur Grundursache eine organische Veranlagung des Gehirns, die es gewissen Eindrücken mehr oder weniger zugänglich macht. Ist eine Veranlagung zum Wahnsinn vorhanden, so wird dieselbe den Charakter der Beschäftigung annehmen, der man hauptsächlich nachgeht: diese wird dann zur fixen Idee. Die Idee kann bei einem, der sich mit Geistern beschäftigt hat, auf diese Bezug haben, wie sie Bezug haben kann auf Gott, auf Engel, auf den Teufel, auf die Lebenslage, auf Macht, auf eine Kunst oder Wissenschaft, auf die Mutterschaft, auf ein politisches oder soziales System. Man darf wohl annehmen, dass der religiös – Wahnsinnige ein spiritistisch – Wahnsinniger geworden wäre, wenn Spiritismus seine vorherrschende Beschäftigung gewesen wäre, gerade wie der spiritistisch–Wahnsinnige je nach Umständen unter anderer Form hätte wahnsinnig werden können.


Meine Behauptung geht also dahin, dass der Spiritismus in dieser Beziehung kein besonderes Privileg hat; aber ich gehe weiter und behaupte, dass er, richtig verstanden, ein Schutzmittel gegen den Wahnsinn ist.



Zu den zahlreichen Ursachen der Gehirnüberreizung muss man Täuschung, Unglücksfälle, widerwärtige Gemütseindrücke rechnen, die zugleich auch die häufigsten Ursachen zum Selbstmord werden. Nun sieht aber der wahre Spiritist die Dinge dieser Welt von einem so erhabenen Standpunkt aus; sie erscheinen ihm so klein, so nichtig gegenüber der seiner wartenden Zukunft; das Leben ist in seinen Augen so kurz, so flüchtig, dass ihm alle Plackereien nur unangenehme Zwischenfälle einer Reise sind. Was bei einem anderen eine heftige Erregung hervorbringen würde, ergreift ihn nicht übermäßig. Übrigens weiß er, dass des Lebens Kümmernisse Prüfungen sind, die zu seinem geistigen Fortschreiten dienen, sofern er sich ihnen unterzieht, ohne zu murren, weil er je nach dem Mut, mit welchem er sie erträgt, dereinst entschädigt wird. So geben ihm seine Überzeugungen eine Entsagung, die ihn vor der Verzweiflung, vor jener unaufhörlichen Ursache des Wahnsinns und des Selbstmordes bewahrt. Zudem kennt er aus der Schau, welches ihm sein Verkehr mit den Geistern zeigt, das Los derer, welche willkürlich ihre Tage kürzen, und dieser Einblick ist recht wohl dazu angetan, ihn zum Nachdenken zu veranlassen. So ist denn auch die Zahl derer, die an diesem verhängnisvollen Abhang noch aufgehalten worden sind, eine beträchtliche. Es ist dies ein Resultat des Spiritismus. Mögen die Ungläubigen darüber lachen soviel sie wollen; ich wünsche ihnen die Tröstungen, die er allen denen verschafft hat, die sich die Mühe genommen hat, seine geheimnisvollen Tiefen zu ergründen.


Zur Zahl der Ursachen des Wahnsinns hat man auch den Schrecken zu rechnen, sowie die Angst vor dem Teufel, die mehr als ein Gehirn aus Rand und Band gebracht hat. Ist denn die Zahl der Opfer bekannt geworden, die dadurch verrückt geworden sind, dass man schwache Geister mit jenem Bild einer Hölle gepeinigt hat, das man durch alle erdenklichen Mittel und durch Beifügung der widerlichsten Einzelheiten nur noch erschrecklicher zu machen pflege? Nun heißt es zwar: der Teufel erschreckt nur kleine Kinder; er ist ein erzieherisches Mittel, um sie artig zu machen. Ja, so wie der Popanz und der Werwolf. Wenn dann die Zeit kommt, wo sie sich nicht mehr vor ihm fürchten, dann sind sie schlimmer als vorher. Und angesichts eines so schönen Resultates bekümmert man sich nicht um die Masse epileptischer Anfälle, deren Ursache auf die Erschütterung eines zartorganisierten Gehirns zurückzuführen ist. Die Religion wäre sehr schwach, wenn ihre Macht nur unter der Voraussetzung der Furcht Bestand hätte; glücklicherweise ist dem nicht so: sie hat andere Mittel, auf die Seelen einzuwirken; der Spiritismus bietet ihr noch wirksamere und ernstere, wenn sie dieselben sich nutzbar zu machen versteht. Er zeigt die Wirklichkeit der Dinge und neutralisiert dadurch die traurigen Folgen übertriebener Furcht.