DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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19. Gewisse Menschen akzeptieren das Gebet für die Verstorbenen nicht, denn gemäß ihrem Glauben hat die Seele nur zwei Alternativen: gerettet zu werden oder zu ewigem Leiden verdammt zu werden, und somit ist für sie das Gebet sowohl in dem einen wie in dem andern Fall nutzlos. Ohne über den Wert dieses Glaubens zu diskutieren, wollen wir für einen Augenblick die Tatsache der ewigen und unverzeihlichen Leiden akzeptieren, und ebenso, dass unseren Gebeten die Macht fehlt, um sie zu beenden. Wir fragen dann, ob es bei dieser Hypothese logisch, barmherzig und christlich ist, das Gebet für die Verdammten zu verweigern? Wären dann diese Gebete, wenn ihnen schon die Macht fehlt, um sie zu befreien, nicht zumindest ein Beweis des Mitgefühls, der ihre Leiden lindern kann? Wenn ein Mensch auf Erden zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt ist, selbst wenn es keine Hoffnung gibt, seine Begnadigung zu erwirken, ist es einem barmherzigen Menschen deshalb verboten, seine Ketten zu tragen, um ihm seine Last zu erleichtern? Wenn irgendjemand von einer unheilbaren Krankheit befallen ist, soll man ihn ohne irgendeine Linderung lassen, nur weil es keine Hoffnung auf Heilung gibt? Denkt daran, dass unter den Verdammten eine Person sein kann, die euch lieb ist, ein Freund, vielleicht auch ein Vater, eine Mutter oder ein Sohn, und weil nach eurer Meinung diese Personen nicht begnadigt werden können, wollt ihr ihnen deshalb ein Glas Wasser verweigern, das ihren Durst zu löschen vermag oder einen Balsam, um ihre Wunden zu trocknen? Würdet ihr nicht für sie tun, was ihr für einen Gefangenen tun würdet? Würdet ihr ihnen nicht einen Beweis der Liebe, des Trostes geben? Nein, dies wäre nicht christlich. Ein Glaube, der das Herz verhärtet, ist nicht mit dem Glauben an einen Gott vereinbar, der die Liebe zum Nächsten an die erste Stelle der Pflichten stellt!


Auch wenn es keine ewig dauernden Leiden gibt, bedeutet dies nicht die Verneinung einer vorübergehenden Strafe, denn Gott in SEINER Gerechtigkeit verwechselt nicht das Gute mit dem Bösen. In diesem Fall die Wirksamkeit des Gebets zu leugnen, würde bedeuten, die Wirksamkeit des Trostes, der Ermutigungen und der guten Ratschläge zu leugnen; das hieße, die Kraft zu verleugnen, die man aus der moralischen Hilfe derer schöpft, die uns Gutes wollen.