DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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Betrachtet die Vögel des Himmels

6. „Sammelt keine Schätze auf Erden, wo Motten und Rost sie fressen und wo Diebe sie ausgraben und stehlen. Sammelt vielmehr Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie fressen; denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.“ Deshalb sage ich euch: „Macht euch keine Sorgen darüber, wo ihr etwas zum Essen finden werdet für die Erhaltung eures Leben, und auch nicht, wo ihr Kleidung finden könntet, um euren Körper zu bedecken. Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Körper mehr als die Kleidung?


Betrachtet die Vögel des Himmels: Sie säen nicht und ernten nicht und häufen nichts in Scheunen an, und euer Vater im Himmel ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr als sie? – Und wer von euch ist imstande, mit all seinen Bemühungen, seine Größe um eine Elle zu verlängern?


Weshalb sorgt ihr euch daher um die Kleidung? Seht, wie die Lilien des Feldes wachsen, sie arbeiten nicht und sie spinnen nicht; und ich sage euch, dass selbst Salomo in seiner vollen Pracht nicht gekleidet war, wie eine von diesen. Wenn aber Gott das Gras des Feldes so gestaltet, das es heute steht und morgen verbrannt wird, wird er dann nicht ebenso viel tun, um euch zu kleiden, ihr Kleingläubigen!



Darum sollt ihr euch nicht sorgen und sagen: ‚Was werden wir essen?‘ Oder: ‚was werden wir trinken?‘ Oder: ‚womit werden wir uns kleiden?‘ So wie die Heiden, die nach allen diesen Dingen trachten. Euer himmlischer Vater weiß ja, dass ihr all dieser Dinge bedürft.


Sucht vielmehr zuerst das Reich Gottes und SEINE Gerechtigkeit, dann werden euch alle diese Dinge dazugegeben werden. Sorgt euch daher nicht um den morgigen Tag, denn der morgige Tag wird seine eigenen Sorgen haben. Jeder Tag hat genug mit seinen eigenen Sorgen.“ (Matthäus, Kap. VI, 19-21 und 25-34)


7. Wenn wir diese Worte wortwörtlich nehmen würden, würden sie die Verneinung aller Vorsorge und aller Arbeit und folglich allen Fortschritts bedeuten. Gemäß diesem Prinzip würde der Mensch sich auf eine abwartende Passivität reduzieren. Seine physischen und intellektuellen Kräfte würden ungenutzt bleiben. Wenn dies sein normaler Zustand auf Erden gewesen wäre, hätte er nie aus diesem primitiven Zustand herausfinden können, und wenn er sein heutiges Gesetz danach gestaltet hätte, brauchte er nur noch zu leben, ohne etwas zu tun. Das aber kann nicht der Gedanke Jesu gewesen sein, denn das wäre ein Widerspruch zu allem, was Er anderswo gesagt hat, wie auch hinsichtlich der Naturgesetze. Gott schuf den Mensch ohne Kleidung und ohne Haus, gab ihm aber die Intelligenz, sich dies zu schaffen. (Siehe Kap. XIV, Nr. 6, und Kap. XXV, Nr. 2).


Man muss daher in diesen Worten nichts anderes als eine symbolische poetische Allegorie der Vorsehung sehen, die niemals diejenigen im Stich lässt, die ihr vertrauen, die aber möchte, dass sich die Menschen ihrerseits etwas erarbeiten. Wenn sie auch nicht immer mit materieller Unterstützung zu Hilfe kommt, inspiriert sie die Ideen, mit denen man die Wege findet, von alleine aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen. (Siehe Kap. XXVII, Abs. 8).


Gott kennt unsere Bedürfnisse, und ER sorgt für sie vor, je nachdem wie nötig sie sind. Der Mensch aber, der unersättlich in seinen Wünschen ist, gibt sich nie zufrieden mit dem, was er hat. Das Notwendige genügt ihm nicht, er braucht auch das Überflüssige. Die Vorsehung überlässt ihn dann sich selber. Oft wird er durch seine eigene Schuld unglücklich, und weil er die warnende Stimme seines Gewissens missachtet hat, lässt Gott ihn unter den Konsequenzen leiden, damit ihm dies eine Lehre für die Zukunft sei.


8. Die Erde wird genügend hervorbringen, um alle ihre Bewohner zu ernähren, wenn die Menschen alles, was sie produzieren, gemäß der Gesetze der Gerechtigkeit, der Uneigennützigkeit und der Nächstenliebe richtig zu verwalten verstehen. Wenn die Brüderlichkeit unter den verschiedenen Völkern herrschen wird, ebenso wie unter den Ländern eines gleichen Reiches, wird der augenblickliche Überfluss des einen, den momentanen Mangel des anderen ausgleichen, und jeder wird das Notwendige haben. Der Reiche wird sich für einen halten, der eine große Menge von Samen hat; wenn er diesen aussät, so wird er das Hundertfache für ihn und für die anderen hervorbringen. Wenn er ihn aber alleine isst, ihn verschwendet und den Überschus verderben lässt, so kann er nichts hervorbringen und es wird nicht genug für alle da sein. Und wenn er den Samen in seinem Speicher wegschließt, werden die Würmer ihn auffressen; deshalb sagte Jesus: „Sammelt keine Schätze auf Erden, denn sie sind vergänglich, sammelt Schätze im Himmel, wo sie ewig sind.“ Mit anderen Worten, legt nicht mehr Wert auf die materiellen Güter als auf die geistigen, und lernt die Ersteren zu Gunsten der Zweiten zu opfern. (Siehe Kap. XVI, Nr. 7 und folgende)


Man kann nicht Nächstenliebe und Brüderlichkeit durch Gesetze verordnen. Wenn sie nicht im Herzen sind, wird der Egoismus sie stets ersticken. Die Nächstenliebe und die Brüderlichkeit in das Herz des Menschen einzupflanzen, ist die Aufgabe des Spiritismus.