DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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5. „Es werden falsche Christusse und falsche Propheten auftreten, die große Wunderdinge und erstaunliche Sachen vollbringen werden, so dass sie auch die Auserwählten verführen könnten“. Diese Worte geben den wahren Sinn des Wortes „Wunder“. Nach theologischer Bedeutung sind Wunderdinge und Wunder außergewöhnliche Phänomene, außerhalb der Naturgesetze. Die Naturgesetze sind allein Gottes Werke, und ER kann sie ohne Zweifel aufheben, wenn es IHM gefällt. Aber der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass Gott niemals unterentwickelten und boshaften Menschen eine solche Macht gegeben haben kann, die so groß wie SEINE ist und noch weniger das Recht zunichte zu machen, was von IHM geschaffen wurde. Ein solches Prinzip kann Jesus nicht gutgeheißen haben.


Wenn also, gemäß der Bedeutung, die man diesen Worten beimisst, der Geist des Bösen die Macht besäße, solche Wunderdinge zu vollbringen, die sogar die Auserwählten täuschen könnten, wäre zu folgern, dass – indem sie das Gleiche tun können, was Gott tut – die Wunderdinge und das Außergewöhnliche keine Privilegien der Gesandten Gottes sind und gar nichts beweisen, da ja nichts die Wundertaten der Heiligen von den Wundertaten der Dämonen unterscheidet. Es ist deshalb notwendig, eine rationalere Bedeutung für diese Worte zu suchen.


Vor den Augen des gewöhnlichen Unwissenden gelten alle Phänomene, deren Ursachen unbekannt sind, als übernatürlich, außergewöhnlich und wundersam. Ist die Ursache einmal bekannt, erkennt man, dass das Phänomen, so außergewöhnlich es auch erscheinen mag, nichts anderes ist, als die natürliche Folge eines Naturgesetzes. So verkleinert sich der Kreis der übernatürlichen Ereignisse in dem Maße, wie sich der Kreis der Wissenschaft vergrößert. Zu allen Zeiten haben die Menschen zugunsten ihres Ehrgeizes, ihrer Interessen und ihrer Herrschaft bestimmte Kenntnisse, die sie besaßen, ausgenutzt, um sich das Prestige einer angeblich übermenschlichen Kraft oder einer vorgeblich göttlichen Mission zu geben. Diese sind die falschen Christusse und die falschen Propheten. Die Verbreitung der Kenntnisse macht sie unglaubwürdig, deshalb vermindert sich ihre Zahl in dem Maß, wie die Menschen aufgeklärt werden. Die Ausführung dessen, was in den Augen von einigen als Wunder gilt, ist daher kein Anzeichen einer göttlichen Mission, da sie aus Kenntnissen hervorgehen, die sich ein jeder aneignen kann, oder aus besonderen organischen Fähigkeiten, die sowohl der Unwürdigste als auch der Würdigste besitzen kann.


Die wahren Propheten erkennt man an den seriöseren und ausschließlich moralischen Charakteren.