DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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KAPITEL XIII
Lasst eure linke Hand nicht wissen, was eure rechte gibt

• Das Gute tun, ohne zu prahlen • Die verborgenen Schicksalsschläge • Der Obolus der Witwe • Die Armen und die Behinderten einladen • Unterweisungen der geistigen Welt: Die materielle und moralische Nächstenliebe; Die Wohltätigkeit; Das Mitgefühl; Die Waisen; Wohltaten, die mit Undankbarkeit belohnt werden; Ausschließliche Wohltätigkeit.

Das Gute tun, ohne zu prahlen

1. Achtet darauf, dass ihr eure guten Taten nicht so vor den Menschen vollbringt, damit sie von ihnen gesehen werden, sonst werdet ihr keine Belohnung von eurem Vater, der im Himmel ist, bekommen. – Wenn du also Almosen gibst, lass dies nicht vor dir her posaunen, wie die Heuchler es in den Synagogen und auf den Gassen tun, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch, dass sie ihre Belohnung dann schon erhalten haben. – Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte Hand tut, damit deine Gabe nicht auffällt und dein Vater, der sieht, was im Verborgenen geschieht, wird es dir lohnen. (Matthäus, Kap. VI, 1-4)

2. Als Jesus vom Berg herabstieg, folgte Ihm eine große Volksmenge; - und gleichzeitig kam ein Leprakranker Ihn anbetend herbei und sagte: - Herr, wenn du willst, kannst du mich heilen. - Jesus streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach: „Ich will es, sei geheilt“; und in dem Moment war er von der Lepra geheilt. - Dann sagte Jesus zu ihm: „Hüte dich davor, über dieses mit irgendjemandem zu sprechen, sondern geh hin, zeige dich den Priestern und bringe die Opfergabe dar, die Moses befohlen hat, damit es ihnen als Zeugnis dient. (Matthäus, Kap. VIII, 1-4)

3. Das Gute zu tun, ohne zu prahlen, ist ein großes Verdienst; die gebende Hand zu verstecken, ist noch verdienstvoller. Dies ist ein unbestrittenes Zeichen von einer großen moralischen Überlegenheit; denn um die Dinge aus einer höheren Sicht zu betrachten, als der gewöhnliche Mensch es tut, ist es notwendig, das gegenwärtige Leben unberücksichtigt zu lassen und sich mit dem zukünftigen Leben zu identifizieren. Kurz gesagt, es ist notwendig, sich über die Menschheit zu stellen, um auf die Freude zu verzichten, die die Zeugenaussage der Menschen verschafft, und auf die Billigung Gottes zu warten. Derjenige, der den Beifall des Menschen mehr als die Zustimmung Gottes schätzt, beweist, dass er den Menschen mehr Vertrauen schenkt als Gott und dass das gegenwärtige Leben für ihn wichtiger ist als das zukünftige Leben. Wenn er das Gegenteil sagt, handelt er aber so, als ob er nicht an das glaubt, was er sagt.

Wie viele gibt es, die nur wohltätig sind, in der Hoffnung, dass der Empfänger der Wohltat diese ausposaunt; die am helllichten Tag eine große Summe, aber in der Verborgenheit kein einziges Geldstück geben würden! Deshalb sagte Jesus: „Diejenigen, die das Gute mit Prahlerei tun, haben bereits ihre Belohnung empfangen“; denn derjenige, der für das Gute das er tut, seine Verherrlichung auf der Erde sucht, hat sich selbst bereits belohnt. Gott schuldet ihm nichts mehr; ihm bleibt nur noch die Bestrafung für seinen Hochmut.

Lasst eure linke Hand nicht wissen, was eure rechte Hand gibt, ist eine bildliche Darstellung, die die bescheidene Wohltätigkeit vortrefflich charakterisiert. Wenn es aber die wahre Bescheidenheit gibt, existiert auch die vorgetäuschte Bescheidenheit, das Trugbild der Bescheidenheit, denn es gibt Menschen, die die gebende Hand verstecken, aber darauf achten, dass ein Teil davon sichtbar herausragt, und gleichzeitig beobachten sie, ob jemand gesehen hat, dass sie die Hand versteckt haben. Unwürdige Parodie der Lehre Jesu! Wenn die hochmütigen Wohltäter unter den Menschen schon verachtet werden, wie werden sie dann vor Gott da stehen? Sie haben ihre Belohnung bereits auf der Erde bekommen. Sie wurden gesehen und sie sind zufrieden damit, dass sie gesehen wurden. Und dies ist alles, was sie haben werden.

Welche Belohnung wird derjenige erhalten, der den Empfänger der Wohltaten damit belastet, indem er ihn auf irgendeine Art und Weise zum Beweis seiner Dankbarkeit zwingt, der ihn seine Position fühlen lässt, dadurch, dass er den Wert seines für ihn geleisteten Opfers preist. Oh! für diesen gibt es nicht einmal die irdische Belohnung, denn ihm wird die wahre Freude vorenthalten, dass sein Name gelobt wird, und dies ist die erste Strafe für seinen Hochmut. Die Tränen, die er zugunsten seiner Eitelkeit getrocknet hat, sind, anstatt zum Himmel hinaufzusteigen, auf das Herz des Leidenden gefallen und haben diesen tief verletzt. Das Gute, das er tut, bringt ihm nichts ein, da er es als Belastung benutzt, und alle mit Ansprüchen verbundenen Wohltaten sind eine Falschmünze und somit wertlos.

Die Wohltätigkeit ohne Prahlerei ist doppelt wertvoll: neben der materiellen Nächstenliebe ist sie auch eine moralische Nächstenliebe. Sie nimmt Rücksicht auf die Empfindlichkeit des Empfängers der Wohltätigkeit; sie lässt ihn die Wohltätigkeiten annehmen, ohne dass seine Selbstachtung darunter leidet, indem seine menschliche Würde gewahrt wird, denn dieser nimmt eher einen Dienst an, als ein Almosen. Einen Dienst in einen Almosen umzuwandeln, durch die Art wie man ihn erweist, bedeutet daher eine Demütigung für denjenigen, der ihn erhält; und einen andern zu demütigen ist immer ein Zeichen von Hochmut und Bosheit. Die wahre Nächstenliebe besteht deshalb darin, auf feinfühlige und einfallsreiche Art die Wohltat zu verbergen, selbst kleinste verletzende Anzeichen zu vermeiden; denn alle seelischen Verletzungen vergrößern das Leiden, das aus der Not entstanden ist. Die Nächstenliebe findet freundliche und nette Worte, die dem Wohltätigkeitsempfänger seine Befangenheit gegenüber dem Wohltäter nimmt, während die hochmütige Nächstenliebe ihn erdrückt. Das Erhabene der echten Großzügigkeit ist, wenn der Wohltäter die Rollen vertauscht, indem er einen Weg findet, selber als der Wohltätigkeitsempfänger gegenüber dem zu erscheinen, dem er den Dienst erweist. Das ist die Bedeutung dieser Worte: Lasst eure linke Hand nicht wissen, was eure rechte Hand gibt.

Die verborgenen Schicksalsschläge

4. Bei den großen Katastrophen zeigt sich die Nächstenliebe, und man sieht großmütige Impulse, um die Schäden zu beheben. Aber neben diesen allgemeinen Schicksalsschlägen gibt es tausend private Katastrophen, die unbemerkt geschehen, Menschen, die auf einem armseligen Bett liegen, ohne sich zu beklagen. Es sind diese unauffälligen und verborgenen Schicksalsschläge, die die wahre Großzügigkeit wahrnehmen kann, ohne darauf zu warten, bis sie um Hilfe gebeten wird.

Wer ist diese Frau mit dem vornehmenden Aussehen, einfach gekleidet, aber gut gepflegt, begleitet von einem jungen Mädchen, das auch bescheiden gekleidet ist? Sie betritt ein schäbig aussehendes Haus, in dem sie zweifellos bekannt ist, denn an der Tür wird sie respektvoll begrüßt. Wohin geht sie? Sie steigt bis zur Mansarde hinauf, in der eine Mutter wohnt, umgeben von kleinen Kindern. Bei ihrer Ankunft strahlt die Freude auf den abgemagerten Gesichtern, weil sie gekommen ist, um all ihre Leiden zu lindern. Sie bringt all das Notwendige, begleitet von sanften und tröstenden Worten, die die Hilfsbedürftigen ihre Gabe ohne Erröten annehmen lässt, denn diese Unglücklichen sind keine professionellen Bettler. Der Vater liegt im Krankenhaus und während dieser Zeit kann die Mutter nicht für das Nötigste sorgen. Dank dieser Dame werden diese armen Kinder weder Hunger noch Kälte erleiden; sie werden warm gekleidet zur Schule gehen und die Brust der Mutter wird für die Kleinen nicht austrocknen. Wenn einer von ihnen krank wird, wird ihr keine materielle Hilfe zuwider sein. Von dort geht sie ins Krankenhaus, um dem Vater etwas zum Naschen zu geben und ihn über das Schicksal der Familie zu beruhigen.

An der Ecke wartet ein Wagen auf sie, ein echtes Vorratslager mit allem was ihre Schützlinge benötigen, die sie nach und nach besucht. Sie fragt weder nach ihrem Glauben noch nach ihren Ansichten, denn für sie sind alle Menschen Geschwister und Kinder Gottes. Wenn die Runde beendet ist, sagt sie sich: Ich habe meinen Tag gut angefangen. Wie ist ihr Name? Wo wohnt sie? Niemand weiß es. Für die Notleidenden ist es ein Name, der nichts verrät; aber sie ist der tröstende Engel; und abends erhebt sich ein Segenskonzert für sie bis zum Schöpfer: Katholiken, Juden, Protestanten segnen sie.

Warum so eine einfache Kleidung? Weil sie die Armut mit ihrem Luxus nicht beleidigen will. Warum lässt sie sich von ihrer jungen Tochter begleiten? Damit sie lernt, wie man Wohltätigkeit ausübt. Die Tochter möchte auch die Nächstenliebe praktizieren, aber ihre Mutter sagt ihr: „Was kannst du geben, meine Tochter, wenn du selber nichts hast? Wenn ich dir irgendwas in die Hand gebe, damit du es anderen weitergibst, was wird dein Verdienst sein? In Wirklichkeit bin ich es, die die Nächstenliebe tut und du bist es, die das Verdienst davon haben wird. Dies ist nicht gerecht. Wenn wir die Kranken besuchen, hilfst du mir sie zu versorgen; jemanden zu pflegen, bedeutet etwas zu geben. Scheint dir das nicht ausreichend? Nichts ist einfacher. Lerne nützliche Arbeiten zu machen und nähe Kleidung für diese kleinen Kinder. So wirst du etwas geben, was von dir kommt.“ Auf diese Art und Weise bereitet diese wahre christliche Mutter ihre Tochter auf das Ausübung der Tugenden vor, die Jesus uns gelehrt hat. Ist sie eine Spiritistin? Das ist doch wohl nicht wichtig!

Für das Milieu, in dem sie lebt, ist sie eine Frau von Welt, weil ihre Position es verlangt; aber niemand weiß was sie macht, weil sie keine andere Anerkennung als die von Gott und ihrem Gewissen möchte. Eines Tages aber führte ein unvorhergesehener Umstand eine von ihren Schützlingen zu ihr, um ihr eine Handarbeit anzubieten. Diese erkannte sie und wollte ihre Wohltäterin segnen. „Schweig!“, sagte sie ihr. „Sag es niemandem!“ So sprach auch Jesus.

Der Obolus der Witwe

5. Als Jesus dem Opferstock gegenüber saß, beobachtete Er die Art, wie das Volk das Geld hineinwarf, und dass mehrere reiche Leute viel einwarfen. – Er sah auch eine arme Witwe, die kam und zwei kleine Münzen einwarf, im Wert von einem Viertel eines Hellers (frühere Kupfermünze). – Dann rief Jesus Seine Jünger und sagte zu ihnen: „Wahrlich, ich sage euch: diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen, die in den Opferstock etwas eingeworfen haben; – denn alle anderen haben von ihrem Überfluss gegeben, diese aber hat von ihrer Armut gegeben, sogar alles, was sie hatte, und alles was ihr für ihren Lebensunterhalt geblieben war.“ (Markus, Kap. XII, 41-44 – Lukas, Kap. XXI, 1-4)

6. Viele Leute bedauern, dass sie nicht so viel tun können, wie sie möchten, mangels ausreichender Geldmittel, und wenn sie sich ein Vermögen wünschen – so sagen sie – ist das, um davon Gutes zu tun. Die Absicht ist zweifellos lobenswert und kann bei einigen sehr aufrichtig sein; aber ist es sicher, dass sie bei allen vollständig uneigennützig ist? Gibt es unter ihnen nicht solche, die – indem sie den Nächsten Gutes tun möchten – lieber bei sich selbst anfangen, um sich selber einige Genüsse mehr zu verschaffen, sich ein bisschen mehr vom Überfluss zu besorgen, der ihnen fehlt, unter dem Vorbehalt, den verbleibenden Rest den Armen zu geben? Dieser Hintergedanke, den sie vor sich selber verbergen, aber den sie tief in ihrem Herzen finden würden, wenn sie danach suchen wollten, annulliert das verdienstvolle dieser Absicht, da die wahre Nächstenliebe zuerst an die anderen denkt, bevor sie an sich selbst denkt. Das Erhabene bei der Nächstenliebe wäre in diesem Fall, in eigener Arbeit durch die Anwendung der eigenen Kräfte, Intelligenz und Fähigkeiten die fehlenden Mittel zu suchen, um diese großzügigen Absichten zu verwirklichen; darin bestünde das dem Herrn angenehmste Opfer. Leider träumt die Mehrheit von einfacheren Mitteln, um auf Anhieb und ohne Anstrengung reich zu werden, indem sie hinter Trugbildern herläuft, wie der Entdeckung von Schätzen, einer zufallsbedingten günstigen Gelegenheit, wie den Empfang unerwarteter Erbschaften usw. Was soll man jenen sagen, die hoffen, Helfer unter den Geistwesen zu finden, die sie bei dieser Suche unterstützen? Es ist offensichtlich, dass sie den edlen Zweck des Spiritismus weder kennen noch verstehen, und noch weniger den Auftrag der Geistwesen, denen es Gott erlaubt, mit den Menschen zu kommunizieren; und gerade daher werden sie durch Enttäuschungen bestraft. („Das Buch der Medien“, zweiter Teil, Nr. 294 und 295)

Diejenigen, deren Absicht ohne irgendein persönliches Interesse ist, sollten sich über ihre Unfähigkeit, soviel Gutes zu tun, wie sie möchten, mit dem Gedanken hinwegtrösten, dass der Obolus des Armen, der gibt, indem er sich Entbehrungen auferlegt, in der Waagschale Gottes mehr wiegt als das Geld des Reichen, der gibt, ohne auf etwas verzichten zu müssen. Es wäre zweifellos eine große Freude, großzügig den Armen helfen zu können; aber wenn dies unmöglich ist, muss man sich damit abfinden und sich darauf beschränken, was man machen kann. Übrigens, kann man Tränen nur mit Gold trocknen? Sollen wir untätig bleiben, nur weil wir keins besitzen? Derjenige, der aufrichtig seinen Nächsten helfen will, findet tausend Möglichkeiten dazu; wenn er sie sucht, wird er sie finden; falls es nicht auf die eine Art und Weise ist, ist es auf eine andere, da es niemanden gibt - im vollen Besitz seiner Fähigkeiten – der nicht irgendeinen Dienst erweisen, einen Trost spenden, ein physisches oder moralisches Leiden mindern, eine nützliche Maßnahme vornehmen könnte. Auch ohne Geld kann man helfen, hat nicht ein jeder seine Kraft, seine Zeit, seine Arbeitspause, wovon er etwas abgeben kann? Auch darin besteht der Obolus des Armen, die Spende der Witwe.

Die Armen und die Behinderten einladen

7. Er sagte aber auch zu denjenigen, die Ihn eingeladen hatten: „Wenn ihr ein Mittagsessen oder ein Abendessen veranstaltet, ladet weder eure Freunde ein noch eure Geschwister noch eure Verwandten noch eure Nachbarn, die reich sind, in der Erwartung, dass sie euch nachher einladen, und euch ihrerseits wiedergeben, was sie von euch erhalten haben. – Wenn ihr aber ein Festmahl veranstaltet, ladet Arme, Behinderte, Lahme, Blinde dazu ein; ihr werdet glücklich sein, denn sie haben nicht die Mittel, um es euch zu vergelten; aber es wird euch bei der Auferstehung der Gerechten vergolten werden.“ – Einer von denjenigen, die am Tisch saßen, hörte diese Worte und sagte zu Ihm: „Selig ist derjenige, der das Brot im Reiche Gottes isst!“ (Lukas, Kap. XIV, 12-15)

8. „Wenn ihr ein Festmahl veranstaltet, sagte Jesus, ladet nicht eure Freunde ein, sondern die Armen und die Behinderten.“ Diese Worte, absurd, wenn man sie wortwörtlich nimmt, sind erhabene, wenn man in ihnen den geistigen Sinn sucht. Jesus kann nur gesagt haben wollen, dass man an seinem Tisch, anstatt Freunde, die Bettler von der Straße versammeln soll. Seine Sprache war fast immer bildlich, und für Menschen, die unfähig waren, die feinen Nuancen der Gedanken zu verstehen, war es nötig starke Bilder zu benutzen, die überzeugende Wirkung hatten. Der Kern Seiner Gedanken offenbart sich durch diese Worte: „Und ihr werdet glücklich sein, denn sie haben nicht die Mittel, um es euch zu vergelten;“ sie bedeuten, dass man das Gute nicht in Erwartung einer Gegenleistung tun soll, sondern aus der einfachen Freude, dies zu tun. Um einen deutlichen Vergleich zu geben, sagte Er: Ladet zu eurem Festmahl die Armen ein, weil sie euch nichts zurückgeben können. Als Festmahl muss man nicht unbedingt das Essen verstehen, sondern die Teilnahme an dem Überfluss, in dem ihr lebt.

Diese Worte können dennoch auch in einem buchstäblichen Sinn angewendet werden. Wie viele Leute laden an ihren Tisch nur diejenigen ein, von denen sie selbst wiederum eingeladen werden? Sie tun dies, um - wie sie sagen – sich die Ehre zu erweisen. Andere hingegen freuen sich darüber, ihre Verwandten oder Freunde zu empfangen, die weniger glücklich sind. Wer hat aber solche nicht unter den seinen? Auf diese Art leistet man ihnen manchmal Hilfe, ohne dass es so scheint. Jene üben die Lehre Jesu aus, ohne die Blinden und die Behinderten zu sich zu holen, wenn sie es aus Wohlwollen tun, ohne Prahlerei, und wenn sie ihre Wohltat durch eine ehrliche Herzlichkeit nicht spürbar werden lassen.

Unterweisungen der geistigen Welt
Die materielle und moralische Nächstenliebe

9. „Lasst uns einander lieben und tun wir den andern das, was wir möchten, das sie es uns tun.“ Die ganze Religion, die ganze Moral sind in diesen zwei Vorschriften enthalten. Wenn sie hier auf Erden befolgt würden, würden alle vollkommen sein: Kein Hass, kein Groll mehr. Ich würde darüber hinaus noch sagen: Keine Armut mehr, denn wie viele Arme würden von dem Überfluss des Tisches eines jeden Reichen ernährt, und ihr würdet in dem düsteren Viertel, in dem ich während meiner letzten Inkarnation lebte, keine arme Frauen mehr sehen, die hinter sich ärmliche Kinder herziehen, denen es an allem mangelt.

Reiche! Denkt ein bisschen daran. Helft den Unglücklichen so gut wie möglich. Gebt, damit Gott eines Tages euch das Gute, das ihr getan habt, zurückerstattet, damit ihr, wenn ihr eure irdische Hülle verlasst, ein Gefolge von dankbaren Geistern treffen werdet, die euch an der Schwelle einer glücklicheren Welt empfangen.

Wenn ihr wüsstet, was ich für eine Freude erlebt habe, als ich im Jenseits diejenigen traf, denen ich in meiner letzten Existenz geholfen habe!

Liebt euren Nächsten also; liebt ihn wie euch selbst, denn ihr wisst jetzt, dass der Unglückliche, den ihr zurückweist, vielleicht ein Bruder, Vater oder Freund sein kann. Wie groß wäre dann eure Verzweiflung, wenn ihr sie danach in der geistigen Welt wiedererkennt?

Ich wünsche mir, dass ihr richtig versteht, was moralische Nächstenliebe sein kann, die jeder praktizieren soll, die nichts Materielles kostet und die trotzdem schwierig in die Tat umzusetzen ist.

Die moralische Nächstenliebe beruht darauf, sich untereinander zu ertragen, was ihr am wenigsten tut in dieser niedrigen Welt, in der ihr momentan lebt. Es ist ein großes Verdienst, glaubt mir, schweigen zu können, um einen Dümmeren sprechen zu lassen; dies ist auch eine Art von Nächstenliebe. Sich taub zu stellen, wenn ein ironisches Wort aus einem Mund kommt, der gewöhnt ist zu verspotten. Das verächtliche Lachen nicht sehen, mit dem die Leute euch empfangen. Leute, die fälschlicherweise glauben, dass sie über euch stehen, während sie im geistigen Leben – das einzig wahre – manchmal tiefer stehen; das ist ein Verdienst, der nicht Demut sondern Nächstenliebe ist. Denn die Fehler der andern nicht zu beachten, das ist moralische Nächstenliebe.

Diese Nächstenliebe soll jedoch nicht verhindern, dass man die andere außer Acht lässt. Im Gegenteil! Denkt vor allem, dass ihr euren Nächsten nicht verachten sollt; erinnert euch an alles, was ich euch bereits gesagt habe: Es ist notwendig, sich unaufhörlich vor Augen zu halten, dass der zurückgewiesene Arme vielleicht ein Geistwesen ist, das ihr geliebt habt, und das sich zur Zeit in einer niedrigeren Position als ihr befindet. Ich habe einen der Armen eurer Welt wieder getroffen, dem ich zum Glück manchmal helfen konnte, und den ich jetzt meinerseits um Hilfe bitten muss.

Erinnert euch daran, dass Jesus sagte, dass wir alle Brüder und Schwestern sind. Denkt immer daran, bevor ihr einen Leprakranken oder einen Bettler zurückweist. Ade! Denkt an diejenigen, die leiden, und betet. (Schwester Rosalie. Paris, 1860)

10. Meine Freunde, ich habe viele von euch sagen hören: Wie kann ich die Nächstenliebe ausüben, wenn ich selbst oft nicht einmal das Notwendigste habe?

Die Nächstenliebe, meine Freunde, kann man auf die eine oder andere Art und Weise ausüben. Ihr könnt sie mit Gedanken, mit Worten und mit Taten tun. Mit Gedanken, indem ihr für die verlassenen Armen betet, die gestorben sind, ohne auch nur einmal das Licht gesehen zu haben; ein Gebet aus dem Herzen hilft ihnen. Mit Worten, indem ihr euren täglichen Begleitern gute Ratschläge gebt. Sagt den Menschen, die durch die Verzweiflung und die Bedürftigkeit verbittert sind und die gotteslästerliche Reden führen: „Ich war so wie ihr; ich litt, fühlte mich unglücklich, aber ich glaubte an den Spiritismus, und seht, jetzt bin ich glücklich.“ Zu den Alten, die zu euch sagen werden: „Das ist nutzlos, ich bin am Ende meines Lebens angelangt; ich werde sterben, wie ich gelebt habe.“ Sagt ihnen: „Die Gerechtigkeit Gottes ist für uns alle gleich; denkt an die Arbeiter der zehnten Stunde.“ Zu den Kindern, die durch ihre Umgebung bereits verdorben sind und auf den Straßen herumlungern, bereit den bösen Versuchungen zu erliegen, sagt ihnen: „Gott sieht euch, meine lieben Kleinen“, und fürchtet euch nicht, ihnen öfter diese sanften Worte zu wiederholen. Sie werden schließlich in ihrem jungen Verstand keimen, und aus kleinen Vagabunden habt ihr dann Menschen gemacht. Auch das ist Nächstenliebe.

Viele unter euch sagen auch: „Nun, wir sind so zahlreich auf Erden, dass Gott uns nicht alle sehen kann.“ Hört gut zu, meine Freunde: Wenn ihr auf der Spitze eines Berges seid, erblicken eure Augen nicht Milliarden von Sandkörnern, die diesen Berg bedecken? Gott sieht euch auf die gleiche Art. Er lässt euch euren freien Willen, wie ihr diese Sandkörner dem Wind überlasst, der sie zerstreut; aber Gott hat in SEINER unendlichen Barmherzigkeit in die Tiefe eures Herzens einen behutsamen Wächter gelegt, den man das Gewissen nennt. Hört auf ihn; er wird euch nichts anderes als gute Ratschläge geben. Manchmal schafft ihr es, das Gewissen zu betäuben, indem ihr ihm den Geist des Bösen gegenüberstellt. Es schweigt dann; aber seid gewiss, dass das arme Vernachlässigte sich Gehör verschaffen wird, sobald ihr es einen Schimmer der Reue spüren lasst. Hört auf das Gewissen, fragt es, und sehr oft werdet ihr getröstet durch den Rat, den ihr von ihm bekommen habt.

Meine Freunde, jedem neuen Regiment übergibt der General eine Flagge; ich gebe euch diesen Grundsatz von Jesus: „Liebt einander“. Praktiziert diesen Grundsatz; versammelt euch unter dieser Flagge und ihr werdet das Glück und die Tröstung bekommen. (Ein Schutzgeist. Lyon, 1860)

Die Wohltätigkeit

11. Die Wohltätigkeit, meine Freunde, wird euch in dieser Welt die reinsten und glücklichsten Freuden geben, die Freuden des Herzens, die weder von Gewissensbissen noch von Gleichgültigkeit gestört werden. Oh! Könntet ihr alles verstehen, was der Großmut der schönen Seelen an Großem und Angenehmem beinhaltet, dieses Gefühl, das uns dazu bringt, den andern mit dem gleichen Blick anzuschauen, mit dem man sich selbst anschaut; sich mit Freude zu entkleiden, um einen Bruder anzukleiden. Könntet ihr, meine Freunde, keine andere schönere Beschäftigung haben als die, andere glücklich zu machen! Welche irdischen Feste könntet ihr mit diesen glücklichen Festen vergleichen, wenn ihr, als Vertreter der Göttlichkeit, diesen armen Familien, die vom Leben nur die Schicksalsschläge und die Bitterkeiten kennen, Freude bringt; wenn ihr auf diesen abgemagerten Gesichtern plötzlich Hoffnung aufstrahlen seht, weil diese Unglücklichen kein Brot hatten und ihre kleinen Kinder, die nicht wissen, dass Leben Leiden bedeutet, schrien, weinten und nur diese Worte wiederholten, die sich wie ein spitzer Dolch in die mütterlichen Herzen bohrten: „Ich habe Hunger!“ Oh! versteht wie angenehm die Eindrücke desjenigen sind, der Freude aufkommen sieht dort, wo er einen Augenblick vorher nur Hoffnungslosigkeit sah! Versteht welche Verpflichtungen ihr euren Brüdern und Schwestern gegenüber habt! Geht, eilt dem Missgeschick entgegen! Geht, helft insbesondere den verborgenen Leiden, denn sie sind die schmerzhaftesten. Geht, meine Lieben, und erinnert euch an die Worte des Erlösers: „Wenn ihr einen dieser Kleinen bekleidet, bedenkt, dass ich es bin, dem ihr das tut!“

Nächstenliebe, ein erhabenes Wort, das alle Tugenden umfasst, du bist es, die alle Völker zum Glück führen muss. Wenn sie dich ausüben, werden sie für sich selbst unendliche Freude für die Zukunft schaffen, und während sie auf die Erde verbannt sind, wirst du ihnen Trost, Vorfreude der Freuden sein, die sie später genießen werden, wenn sie sich alle zusammen im Schoß des Gottes der Liebe umarmen werden. Du bist es, göttliche Tugend, die mir die einzigen glücklichen Momente, die ich auf der Erde erlebte, verschafft hat. Mögen meine inkarnierten Brüder und Schwestern der Stimme des Freundes glauben, die zu ihnen spricht und sagt: Es ist in der Nächstenliebe, in der ihr den Frieden des Herzens, die Zufriedenheit der Seele, das Heilmittel gegen die Übel des Lebens suchen sollt. Oh! wenn ihr nahezu geneigt seid, Gott zu beschuldigen, werft einen Blick unter euch und ihr werdet sehen, wie viel Elend zu lindern ist, wie viele arme Kinder ohne Familie es gibt, wie viele Alte, denen eine freundliche Hand fehlt, die ihnen hilft und ihnen die Augen in der Stunde des Todes schließt! Wie viel Gutes gibt es zu tun! Oh! beklagt euch nicht, sondern bedankt euch im Gegenteil bei Gott und gebt aus vollen Händen eure Sympathie, eure Liebe, euer Geld an all diejenigen, die aller Güter dieser Erde enterbt wurden, in Leiden und Vereinsamung vergehen. Ihr werdet hier auf Erden sanfte Freuden erhalten, und später … Gott allein weiß es! (Adolphe, Bischof von Algerien. Bordeaux, 1861)

12. Seid gut und barmherzig, das ist der Schlüssel zum Himmel, den ihr in euren Händen haltet. Vollständiges ewiges Glück ist in diesem Grundsatz enthalten: „Liebt einander“. Die Seele kann sich nur durch die Selbstaufopferung für seinen Nächsten zu hohen spirituellen Regionen erheben; nur in den Impulsen der Nächstenliebe findet sie Glück und Trost. Seid gütig, unterstützt eure Brüder und Schwestern, rottet diese schreckliche Plage des Egoismus aus. Indem ihr diese Pflicht erfüllt, wird sich euch der Weg des ewigen Lebens öffnen. Bei wem von euch hat übrigens das Herz noch nicht höher geschlagen, sich aus reiner Freude weit geöffnet, bei der Erzählung eines Aktes reiner Aufopferung, einem Werk wirklicher Nächstenliebe? Wenn ihr nur die Wonne einer guten Tat suchen würdet, dann befändet ihr euch immer auf dem Weg des spirituellen Fortschritts. Beispiele fehlen euch nicht; was euch fehlt, ist der gute Wille, der selten ist. Seht die vielen Menschen guten Willens, von denen euch eure Geschichte fromme Erinnerungen ins Gedächtnis zurückruft.

Hat Christus euch nicht alles gesagt, was diese Tugenden der Nächstenliebe und der Liebe anbelangt? Warum vernachlässigt man Seine göttliche Lehre? Warum schließt man die Ohren vor Seinen göttlichen Worten, das Herz vor Seinen sanften Grundsätzen? Ich würde wünschen, dass man der Lektüre des Evangeliums mehr Interesse, mehr Glauben schenkt. Man vernachlässigt dieses Buch, man hält es für leere Worte, einen verschlossenen Brief; man lässt diesen bewundernswerten Kodex ins Vergessen geraten: Eure Leiden kommen aus der freiwilligen Vernachlässigung, die ihr von dieser Zusammenfassung der göttlichen Gesetze macht. Lest also diese von der Opferwilligkeit Jesu glühenden Blätter und meditiert darüber.

Starke Menschen, wappnet euch; schwache Menschen, macht aus eurer Sanftmut, aus eurem Glauben eure Waffen; habt mehr Überzeugung und mehr Beständigkeit bei der Verbreitung eurer neuen Lehre. Wir kommen, um euch eine Ermutigung zu geben, und es ist nur um euren Eifer und eure Tugenden anzuregen, dass Gott uns erlaubt, uns euch zu offenbaren. Wenn ihr aber wolltet, würde die Hilfe Gottes und euer eigener Wille genügen: Die spiritistischen Kundgebungen geschehen nur für diejenigen, die geschlossene Augen und ungelehrige Herzen haben.

Die Nächstenliebe ist die grundlegende Tugend, die das ganze Gebäude der irdischen Tugenden stützen muss; ohne sie existieren die anderen nicht. Ohne Nächstenliebe gibt es gar keine Hoffnung auf ein besseres Schicksal, kein moralisches Interesse, das uns führt. Ohne die Nächstenliebe gibt es keinen Glauben, denn der Glaube ist nichts anderes als ein reiner Strahl, der die barmherzige Seele leuchten lässt.

Die Nächstenliebe ist der ewige Anker in allen Welten: sie ist das reinste Ausströmen des Schöpfers; sie ist SEINE eigene Tugend, die ER dem Geschöpf gibt. Wie kann man diese höchste Güte verkennen? Welches Herz wäre – mit dieser Kenntnis – so pervers, um dieses vollständig göttliche Gefühl zurückzudrängen und zu vertreiben? Welches Kind wäre so böse, um sich dieser sanften Liebe – der Nächstenliebe – zu widersetzen?

Ich wage nicht über das, was ich getan habe, zu sprechen, weil auch die Geister bei ihren Werken Zurückhaltung üben; aber ich halte dieses Werk, das ich angefangen habe, für eines, das mit am meisten bei der Linderung der Not eurer Mitmenschen helfen soll. Ich sehe oft Geistwesen, die um den Auftrag bitten, meine Arbeit fortsetzen zu dürfen. Ich sehe sie, meine gütigen und geliebten Brüder und Schwestern, bei ihrem frommen und göttlichen Dienst. Ich sehe sie bei der Ausübung der Tugend, die ich euch empfehle, mit der ganzen Freude, die dieses Leben der Selbstaufopferung verschafft. Es ist eine große Freude für mich zu sehen, wie sehr ihr Charakter verehrt wird, wie sehr ihre Mission geliebt und behutsam beschützt ist. Barmherzige Menschen, die ihr guten und starken Willens seid, vereinigt euch, um das Werk der Verbreitung der Nächstenliebe umfangreich fortzusetzen. Ihr werdet die Belohnung dieser Tugend bei ihrer Ausübung selbst finden. Es gibt keine spirituelle Freude, die die Nächstenliebe nicht schon in diesem gegenwärtigen Leben gibt. Seid vereinigt. Liebt einander, gemäß den Lehren Christi. So sei es. (Sankt Vincent de Paul, Paris, 1858)

13. Mein Name ist Nächstenliebe. Ich bin der Hauptweg, der zu Gott führt. Folgt mir, denn ich bin das Ziel, nach dem ihr alle streben sollt.

Ich habe an diesem Morgen meine gewöhnliche Tour gemacht, und im Herzen betrübt, komme ich, um euch zu sagen: Oh! meine Freunde, wie viel Elend, wie viele Tränen, und wie viel habt ihr zu tun, um sie alle zu trocknen! Vergeblich habe ich versucht, die armen Mütter zu trösten, indem ich ihnen ins Ohr sagte: Habt Mut! Es gibt gütige Herzen, die auf euch aufpassen; man wird euch nicht verlassen. Habt Geduld! Gott ist hier; und ihr seid SEINE Geliebten, ihr seid SEINE Auserwählten. Sie schienen mich zu hören und blickten mit ihren großen verwirrten Augen in meine Richtung. Ich sah in ihren armen Gesichtern, dass der Körper – dieser Tyrann des Geistes – Hunger hatte, und dass, wenn auch meine Worte ihnen das Herz ein bisschen beruhigte, sie ihnen den Magen aber nicht füllen konnten. Ich wiederholte immer noch: Habt Mut! Habt Mut! Eine sehr junge arme Mutter, die ein kleines Kind stillte, nahm es darauf in die Arme und hob es in den leeren Raum, als ob sie mich darum bitten würde, dass ich dieses arme und kleine Wesen beschützen möge, das aus einer schlaffen Brust nicht genügend Nahrung bekam.

Anderen Orts, meine Freunde, habe ich arme alte Menschen ohne Arbeit gesehen, und infolge dessen ohne Unterkunft und allen Leiden der Armut ausgeliefert, und beschämt wegen ihrer Misere, die es nicht wagten, sie, die nie gebettelt haben, die Erbarmung der Passanten zu erbetteln. Mit dem Herzen voller Mitgefühl, ich, die nichts besitzt, habe aus mir eine Bettlerin für sie gemacht, und ich gehe überall hin, um die Wohltätigkeit zu stimulieren, den großzügigen und mitfühlenden Herzen gute Gedanken einzuflößen. Deswegen komme ich zu euch, meine Freunde, und sage euch: Dort unten gibt es Unglückliche, auf deren Tisch das Brot fehlt, die Kamine ohne Feuer und das Bett ohne Decken sind. Ich sage euch nicht, was ihr machen sollt; ich überlasse euren gütigen Herzen diese Initiative. Wenn ich euch Verhaltensregeln vorschreiben würde, würdet ihr kein Verdienst für eure gute Tat haben. Ich sage euch nur: Ich bin die Nächstenliebe und ich reiche euch die Hand, für eure leidenden Brüder und Schwestern. Wenn ich aber um etwas bitte, gebe ich auch, und ich gebe viel. Ich lade euch zu einem großen Bankett ein und ich liefere euch den Baum, von dem ihr euch alle sättigen sollt. Seht wie schön er ist, wie er voller Blüten und Früchten ist! Geht, pflückt, nehmt alle Früchte von diesem schönen Baum, der Wohltätigkeit heißt. An die Stelle der Äste, die ihr von ihm genommen habt, werde ich alle guten Taten anbringen, die ihr vollbracht habt, und werde diesen Baum zu Gott bringen, damit ER ihn von neuem befruchten kann, denn die Wohltätigkeit ist unerschöpflich. Folgt mir, meine Freunde, damit ich euch zu denen zählen kann, die sich unter meinem Banner aufstellen. Seid ohne Angst; ich werde euch auf den Weg der Erlösung führen, denn ich bin die Nächstenliebe. (Carita, Märtyrerin in Rom. Lyon, 1861)

14. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Nächstenliebe auszuüben, so dass viele unter euch sie mit dem Almosen geben verwechseln; es gibt allerdings große Unterschiede. Das Almosen, meine Freunde, ist manchmal notwendig, weil es den Armen Linderung bringt. Es ist aber fast immer demütigend, sowohl für den, der es gibt, als auch für den, der es empfängt. Die Nächstenliebe verbindet im Gegensatz dazu den Wohltäter mit dem Empfänger, und sie verschleiert sich auf vielfältige Art und Weise. Man kann selbst seinen Verwandten und seinen Freunden gegenüber wohltätig sein, indem der eine dem andern gegenüber nachsichtig ist, indem man sich gegenseitig die Schwächen verzeiht, indem man darauf achtet, die Selbstachtung von niemandem zu verletzen. Und ihr, Spiritisten, ihr könnt in eurer Handlungsweise denjenigen gegenüber, die nicht wie ihr denken, wohltätig sein, indem ihr die weniger Aufgeklärten zum Glauben bringt, aber ohne sie zu verletzen, ohne ihren Überzeugungen offen zu widersprechen, sondern sie ganz freundlich zu unseren Zusammenkünften bringt, wo sie uns hören können und wo wir in ihrem Herzen die Bresche zu finden wissen, wodurch wir in ihre Herzen eindringen können. Dies ist eine Seite der Nächstenliebe.

Hört jetzt, was Nächstenliebe gegenüber den Armen ist, diese Enterbten hier auf Erden, die von Gott aber belohnt werden, wenn sie ihr Elend ohne zu klagen annehmen, und dies hängt von euch ab. Ich werde mich durch ein Beispiel verständlich machen.

Ich sehe mehrmals in der Woche eine Frauenversammlung: Es sind alle Altersgruppen vertreten. Für uns, wie ihr wisst, sind sie alle Schwestern. Was machen sie? Sie arbeiten schnell, sehr schnell; die Finger sind flink. Seht auch wie ihre Gesichter freudestrahlend sind, und wie ihre Herzen einstimmig schlagen! Aber was ist ihr Ziel? Sie sehen den Winter nahen und dass er für die armen Familien sehr hart sein wird; die Ameisen konnten während des Sommers nicht die notwendigen Körner für den Vorrat anhäufen und die meisten persönlichen Sachen sind verpfändet. Die armen Mütter machen sich Sorgen und weinen um ihre kleinen Kinder, die in diesem Winter Kälte und Hunger erleiden werden. Aber Geduld, arme Frauen! Gott hat Frauen inspiriert, die reicher sind als ihr; sie haben sich versammelt und fertigen kleine Kleidungsstücke an. Dann, eines Tages, wenn der Schnee die Erde bedeckt hat und ihr euch beklagend sagt: „Gott ist nicht gerecht“, denn das ist immer aus eurem Mund zu hören, wenn ihr leidet; ihr werdet dann ein Kind einer dieser fleißigen Damen kommen sehen, die sich als Arbeiterinnen der Armen engagiert haben; ja, für euch arbeiten sie so, und eure Klagen werden sich in Segenswünsche umwandeln, denn im Herzen der Notleidenden folgt die Liebe ganz dicht dem Hass.

Da diese fleißigen Damen eine Ermutigung brauchen, erhalten sie von allen Seiten Mitteilungen der guten Geistwesen. Die Männer, die dieser Gesellschaft angehören, beteiligen sich ebenfalls, indem sie ihnen etwas vorlesen, was allen viel Freude bereitet. Und wir, um den Eifer von allen zu belohnen und insbesondere von jedem Einzelnen, versprechen diesen fleißigen Damen eine gute Kundschaft, die sie bezahlen wird, bar, in Form von Segnungen, der einzigen Währung, mit der im Himmel gehandelt wird; außerdem versichern wir ihnen, ohne Angst, uns zu weit vorzuwagen, dass es ihnen nicht an diesen Segnungen fehlen wird. (Carita, Lyon, 1861)

15. Meine geliebten Freunde, ich höre jeden Tag einige von euch sagen: „Ich bin arm, ich kann die Nächstenliebe nicht ausüben.“ Und jeden Tag sehe ich, dass euch die Nachsicht euren Nächsten gegenüber fehlt. Ihr verzeiht ihnen nichts und ihr spielt euch als Richter auf, oft als ein sehr strenger, ohne euch zu fragen, ob ihr glücklich sein würdet, wenn man mit euch das Gleiche täte. Ist die Nachsicht nicht auch Nächstenliebe? Ihr, die ihr nichts anderes ausüben könnt, als die nachsichtige Nächstenliebe, übt wenigstens diese aus, aber übt sie reichlich aus. Was die materielle Nächstenliebe anbelangt, so möchte ich euch eine Geschichte aus der jenseitigen Welt erzählen.

Zwei Männer waren gerade gestorben. Gott hatte gesagt: „Solange diese beiden Männer leben, werden die guten Taten von jedem in getrennte Beutel getan und bei ihrem Tod werden diese Beutel gewogen.“ Als die letzte Stunde dieser beiden Männer schlug, ließ sich Gott diese beiden Beutel bringen. Ein Beutel war voll, umfangreich, gut gefüllt und das darin enthaltene Metall klimperte. Der andere Beutel war so klein und dünn, dass man die wenigen darin enthaltenen Münzen hindurch schimmern sah. Jeder von ihnen erkannte seinen Beutel: „Dieser hier ist meiner“, sagte der erste, „ich erkenne ihn wieder; ich war reich und habe viel verteilt.“ „Und dieser ist meiner“, sagte der andere, „ich war immer arm, leider! Ich hatte fast nichts zu verteilen.“ Aber welche Überraschung! Als die beiden Beutel auf die Waagschale gelegt wurden, wurde der dicke, schwere Beutel leicht, und der kleine Beutel wurde derart schwer, dass die Waagschale zur anderen Seite ausschlug. Da sagte Gott zum Reichen: „Du hast viel gegeben, das ist wahr, aber du hast es aus Prahlerei getan, mit dem Ziel, dass dein Name an allen Tempeln des Hochmuts zu lesen sein wird, und außerdem brauchtest du dich nicht einzuschränken, wenn du gabst; geh nach links und sei zufrieden, dass dein Almosen dir als kleine Tat angerechnet wird.“ Dann sprache ER zu dem Armen: „Du hast sehr wenig gegeben, mein Freund; aber jede dieser Münzen, die auf der Waagschale liegen, stellt eine Entbehrung für dich dar; und wenn du keine Almosen verteilt hast, hast du aber die Nächstenliebe ausgeübt; das Beste daran ist aber, dass du sie ganz selbstverständlich getan hast, ohne darüber nachzudenken, ob sie dir angerechnet würde. Du warst nachsichtig; du hast deinesgleichen nicht gerichtet; du hast sie im Gegenteil für alle ihre Taten entschuldigt. Geh auf die rechte Seite und empfange deine Belohnung.“ (Ein Schutzgeist, Lyon, 1861)

16. Die reiche, glückliche Frau, die es nicht nötig hat, ihre Zeit mit Hausarbeit zu verbringen, könnte sie nicht einige Stunden des Tages zu nützlichen Arbeiten für ihre Mitmenschen widmen? Sie könnte aus dem Überfluss ihrer Besitztümer etwas kaufen, um den Unglücklichen zu bedecken, der vor Kälte zittert; mit ihren zarten Händen grobe aber warme Kleidung anfertigen; einer Mutter helfen, das Kind zu kleiden, das sie gebären wird. Falls ihr eigenes Kind dadurch einige Spitzen weniger besitzen wird, so wird das Kind der Armen es dafür wärmer haben. Für die Armen zu arbeiten bedeutet, im Weinberg des Herrn zu arbeiten.

Und du, arme Arbeiterin, du hast keinen Überfluss, möchtest aber aus Liebe zu deinen Brüdern und Schwestern etwas von dem, was du besitzt, geben, gib einige Stunden von deinem Tag, von deiner Zeit, deinem einzigen Schatz. Stelle einige von diesen eleganten Arbeiten her, die die Glücklichen anreizen. Verkaufe die Arbeit deines Vorabends, und du wirst deinen Brüdern und Schwestern auch deinen Anteil zur Linderung verschaffen. Du wirst vielleicht weniger Schleifen besitzen, aber demjenigen, der barfuß läuft, Schuhe geben.

Und ihr, Frauen, die ihr euch Gott hingegeben habt, arbeitet auch an SEINEM Werk, aber eure feinen und kostbaren Arbeiten sollten nicht nur dazu da sein, um eure Kapellen zu schmücken und um die Aufmerksamkeit auf eure Geschicklichkeit und Geduld zu lenken. Arbeitet, meine Töchter, auf dass der Preis eurer Arbeit zur Linderung für eure Brüder und Schwestern Gott gewidmet sei. Die Armen sind SEINE geliebten Kinder, für sie zu arbeiten, bedeutet IHN zu verherrlichen. Seid für sie die Vorsehung, die sagt: „Den Vögeln des Himmels gibt Gott das Futter.“ Möge das Gold und das Silber, das mit euren Fingern eingewebt wird, sich in Kleidung und Nahrung für diejenigen verwandeln, denen es daran mangelt. Tut dies, und eure Arbeit wird gesegnet sein.

Und ihr alle, die ihr etwas produzieren könnt, gebt: Gebt eure Begabung, eure Inspirationen, eure Herzen, die Gott segnen wird. Dichter, Schriftsteller, die ihr nur von bestimmten Leuten der Gesellschaft gelesen werdet, füllt deren freie Zeit aus, aber der Erlös aus einigen eurer Werke möge zur Linderung der Leiden der Unglücklichen bestimmt sein. Maler, Bildhauer, Künstler aller Art, möge eure Intelligenz auch euren Brüdern und Schwestern zu Hilfe kommen, euer Ruhm wird dadurch nicht kleiner, und es wird weniger Leidende geben.

Ihr alle könnt geben; egal welcher Gesellschaftsschicht ihr angehört, ihr werdet immer etwas haben, das ihr verteilen könnt. Was auch immer es sei, was Gott euch gegeben hat, ihr schuldet einen Teil davon denjenigen, die nicht einmal das Notwendigste haben, weil ihr an deren Stelle ebenso sehr glücklich sein würdet, wenn andere mit euch teilten. Eure Schätze auf der Erde werden ein wenig geringer, aber eure Schätze im Himmel werden reichlicher sein; dort werdet ihr hundertfach ernten, was ihr hier auf Erden an Wohltaten gesät habt. (Jean, Bordeaux, 1861)

Das Mitgefühl

17. Das Mitgefühl ist die Tugend, die euch in die nächste Nähe der Engel führt. Es ist die Schwester der Nächstenliebe, die euch zu Gott führt. Ja! Lasst eure Herzen erweichen beim Anblick der Armut und der Leiden eurer Nächsten. Eure Tränen sind Balsam, den ihr über ihre Wunden gießt, und wenn es euch gelingt, durch eine sanfte Zuneigung ihnen die Hoffnung und die Geduld wiederzugeben, welch eine Freude werdet ihr dabei empfinden! Diese Freude trägt allerdings eine gewisse Bitternis in sich, weil sie neben dem Unglück entsteht. Wenn sie aber nicht den herben Beigeschmack der gesellschaftlichen Genüsse hat, bringt sie auch nicht die herzzerreißenden Enttäuschungen der Leere, die diese hinterlassen. Sie bringt eine durchdringende Sanftheit, die die Seele erfreut.

Das Mitgefühl, ein tief empfundenes Mitgefühl, das ist die Liebe; Liebe ist Aufopferung; Aufopferung ist Selbstverleugnung; und diese Selbstverleugnung, diese Opferbereitschaft für die Notleidenden ist die ganz besondere Tugend, die der göttliche Messias Sein ganzes Leben lang praktiziert hat und die Er in Seiner heiligen und so erhabenen Lehre gelehrt hat. Wenn dieser Lehre ihre ursprüngliche Reinheit zurückgegeben wird; wenn sie von allen Völkern angenommen wird, wird sie der Erde Glück bringen, indem sie endlich die Eintracht, den Frieden und die Liebe herrschen lassen wird.

Das reinste Gefühl, das euch fortschreiten lässt, ist das Mitgefühl, das eure Seele zur Demut, zur Wohltätigkeit und zur Nächstenliebe bewegt und mit dem ihr euren Egoismus und Hochmut überwindet! Dieses Mitgefühl, das euch wegen der Leiden eurer Brüder und Schwestern bis in euer Innerstes erschüttert, und das euch dazu bringt, ihnen eine helfende Hand zu reichen und euch in Tränen der Rührung ausbrechen lässt. Unterdrückt in euren Herzen nie dieses himmlische Gefühl, macht es auch nicht wie diese verstockten Egoisten, die sich von den Leidenden entfernen, weil der Anblick ihres Elends sie für einen Augenblick in ihrer glücklichen Existenz stören würde. Hütet euch davor, gleichgültig zu sein, wenn ihr euch nützlich machen könnt. Die Ruhe, die man auf Kosten einer schuldhaften Gleichgültigkeit erreicht, ist die Ruhe des Toten Meeres, das in der Tiefe seines Wassers den stickigen Schlamm und die Korruption verbirgt.

Das Mitgefühl ist jedoch weit davon entfernt, Störungen und Überdruss zu verursachen, wovor die Egoisten erschrecken! Zweifelsohne empfindet die Seele bei der Berührung des Elends anderer, da sie sich ihrer selbst erinnert, einen natürlichen und tiefen Schock, der euer ganzes Wesen ergreift und euch schmerzlich erschüttert. Aber die Belohnung ist groß, wenn es euch gelingt, einem unglücklichen Bruder den Mut und die Hoffnung zurückzugeben, der von einem freundlichen Händedruck innerlich bewegt wird, und dessen Blick – feucht vor Rührung und Dankbarkeit – sich leise zu euch wendet, bevor er ihn zum Himmel richtet, um sich dafür zu bedanken, dass ihm ein Tröster und Unterstützung geschickt wurde. Das Mitgefühl ist der schwermütige, aber auch himmlische Vorläufer der Nächstenliebe, die erste unter den Tugenden, deren Schwester sie ist und deren Wohltaten sie vorbereitet und adelt. (Michel. Bordeaux, 1862)

Die Waisen

18. Meine Brüder und Schwestern, liebt die Waisen. Wenn ihr wüsstet, wie traurig es ist, allein und verlassen zu sein, vor allem als Kind, im jungen Alter. Gott erlaubt, dass es Waisenkinder gibt, damit wir uns engagieren, ihnen als Eltern zu helfen. Was für eine göttliche Nächstenliebe, einem kleinen, verlassenen Geschöpf beizustehen, zu verhindern, dass es Kälte und Hunger erleidet, seine Seele zu leiten, damit es nicht auf Abwege gerät! Wer die Hand einem verlassenen Kind reicht, gefällt Gott, da er SEIN Gesetz versteht und ausübt. Denkt auch darüber nach, dass sehr oft das Kind, dem ihr helft, euch sehr lieb und teuer in einer anderen Inkarnation war; und wenn ihr euch daran erinnern könntet, wäre dies dann keine Nächstenliebe mehr, sondern eine Pflicht. Somit, meine Freunde, ist jedes leidende Wesen euer Bruder, eure Schwester und hat Anspruch auf eure Nächstenliebe, aber nicht auf jene Nächstenliebe, die das Herz verletzt, nicht dieses Almosen, das die Hand verbrennt, in die es fällt, denn euer Obolus ist sehr oft bitter! Wie oft würde er abgelehnt werden, wenn nicht in dem armen Haus die Krankheit und die Not auf sie warten würde! Gebt mit Feingefühl, fügt der Wohltat das Wertvollste von allem hinzu: ein gutes Wort, eine Zärtlichkeit, ein freundliches Lächeln. Vermeidet dieses gönnerhafte Benehmen, das sich wie ein Schwert in ein blutendes Herz bohrt, und denkt bei der Wohltat daran, dass ihr für euch und die Eurigen arbeitet. (Ein bekannter Geist, Paris, 1860)

Wohltaten, die mit Undankbarkeit belohnt werden

19. Was soll man über Menschen denken, die, weil sie als Belohnung für ihre Wohltaten nur Undankbarkeit erhalten haben, das Gute nicht mehr tun, aus Angst, den Undankbaren zu begegnen?

Diese Menschen haben in sich mehr Egoismus als Nächstenliebe; denn das Gute zu tun, nur um ein Zeichen der Dankbarkeit zu bekommen, bedeutet, dass man es nicht mit Selbstlosigkeit getan hat, und die selbstlose Wohltat ist die einzige, die Gott gefällt. Dies ist ebenso Hochmut, denn sie finden Gefallen an der Demut des Notleidenden, der kommt, um ihnen seine Dankbarkeit zu Füssen zu legen. Derjenige, der Belohnung für das Gute, das er tut, auf der Erde sucht, wird sie im Himmel nicht mehr erhalten; denn Gott wird denjenigen berücksichtigen, der sie nicht auf der Erde gesucht hat.

Es ist notwendig, stets den Schwachen zu helfen, obwohl man im Voraus weiß, dass diese für das Gute, das man getan hat, nicht dankbar sein werden. Seid euch bewusst, dass, falls derjenige, dem ihr einen Dienst erwiesen habt, die Wohltat vergisst, Gott euch dies mehr anerkennen wird, als wenn ihr bereits durch die Dankbarkeit des Empfängers belohnt worden wäret. Gott erlaubt, dass ihr manchmal mit Undankbarkeit bezahlt werdet, um eure Beharrlichkeit, das Gute zu tun, zu prüfen.

Wisst ihr übrigens, ob diese im Augenblick vergessene Wohltat, nicht später gute Früchte tragen wird? Seid im Gegenteil sicher, dass es ein Samen ist, der mit der Zeit keimen wird. Leider seht ihr stets nur die Gegenwart; ihr arbeitet für euch und nicht für die andern. Die Wohltaten schaffen es schließlich, die verhärteten Herzen zu erweichen; sie können auf Erden verkannt sein, aber wenn der Geist von seinem physischen Körper befreit ist, wird er sich erinnern, und diese Erinnerung wird seine Bestrafung sein. Er wird dann seine Undankbarkeit bereuen; seine Fehler wieder gutmachen wollen, seine Schuld in einer anderen Existenz bezahlen, indem er - sehr oft sogar – ein Leben der Aufopferung gegenüber seinem Wohltäter akzeptiert. Ihr habt somit, ohne es zu ahnen, zu seinem moralischen Fortschritt beigetragen, und später werdet ihr die ganze Wahrheit dieses Grundsatzes erkennen: Eine Wohltat ist niemals vergeblich getan. Aber ihr habt auch für euch gearbeitet, weil ihr das Verdienst haben werdet, Gutes mit Selbstlosigkeit getan zu haben, ohne den Mut wegen der Enttäuschungen verloren zu haben.

Ja! Meine Freunde, wenn ihr alle Bindungen kennen würdet, die euch im gegenwärtigen Leben mit euren vorherigen Existenzen verknüpfen! Wenn ihr die Vielzahl der Beziehungen erfassen könntet, die die Menschen untereinander näher bringen, für ihren gegenseitigen Fortschritt, könntet ihr die Weisheit und die Güte des Schöpfers viel besser bewundern, der es euch erlaubt, ein neues Leben zu beginnen, um IHM näher zu kommen. (Ein Schutzgeist. Sens, 1862)

Ausschließliche Wohltätigkeit

20. Wird die Wohltätigkeit gut verstanden, wenn sie ausschließlich unter Menschen gleicher Meinung, gleichen Glaubens oder von der gleichen Partei ausgeübt wird?

Nein, es ist vor allem diese Hinwendung zur Sekte und zur Partei, die man abschaffen muss, weil wir alle Brüder und Schwestern sind. Der wahre Christ sieht alle seine Nächsten als seine Brüder und Schwestern an, und um dem Notleidenden zu helfen, fragt er nicht nach seinem Glauben, nach seiner Meinung, egal wer auch immer sie sein mögen. Würde er die Lehre Jesu Christi befolgen, die sagt, dass wir sogar unsere Feinde lieben sollen, wenn er einen Notleidenden abweist, weil dieser einen anderen Glauben hat, als seinen? Helft ihm also, ohne von ihm Rechenschaft über sein Gewissen zu verlangen, denn, falls er ein Feind der Religion ist, so wird dies das Mittel sein, sie zu achten. Ihn abzuweisen würde dazu führen, dass er diese Religion hasst. (Saint Louis, Paris, 1860)