DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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10. Einer der Fehler der Menschheit ist, das Böse der andern zu sehen, bevor man das Böse in sich selbst sieht. Um sich selbst zu beurteilen, sollte man sich in einem Spiegel betrachten; sich auf irgendeine Weise aus sich selbst heraus begeben und sich dabei als eine andere Person sehen und fragen: Was würde ich denken, wenn ich einen anderen sehen würde, der das Gleiche tut, was ich mache? Es ist unbestreitbar der Stolz, der den Menschen dazu bringt, seine eigenen Fehler vor sich selbst zu verbergen, sowohl die moralischen als auch die physischen. Diese Fehler widersprechen vor allem der Nächstenliebe, weil die wahre Nächstenliebe anspruchslos, einfach und nachsichtig ist; die stolze Nächstenliebe wirkt paradox, da sich diese beiden Gefühle gegeneinander aufheben. Wie kann denn ein Mensch, der so eitel ist und an die Wichtigkeit seiner Persönlichkeit und an die Überlegenheit seiner Eigenschaften glaubt, gleichzeitig genug Selbstverleugnung haben, um das Gute beim andern hervorzuheben, das ihn in den Schatten stellen könnte, statt das Böse, das ihn hervorheben könnte? Wenn der Stolz der Ursprung vieler Fehler ist, ist er auch gleichzeitig die Verneinung von vielen Tugenden; man findet ihn als Basis und Anlass fast aller Handlungen. Deswegen bemühte sich Jesus, ihn als das hauptsächliche Hindernis des Fortschritts zu bekämpfen.