DAS BUCH DER MEDIEN oder WEGWEISER FÜR MEDIEN UND ANRUFER

Allan Kardec

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Theoretischer Abhandlung über Geister-Erscheinungen


101. Die gewöhnlichsten Geistererscheinungen finden im Schlaf durch die Träume statt: das sind die Visionen. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, alle Besonderheiten zu erforschen, welche die Träume vorstellen zeigen können; wir fassen uns kurz, indem wir sagen, sie können sein: eine aktuelle Vision von gegenwärtigen oder abwesenden Dingen, eine Vision mit Rückblick auf das Vergangene und in einigen besonderen Fällen ein Vorgefühl der Zukunft. Es sind oft auch allegorische Bilder, welche die Geister vor unseren Augen vorüberziehen lassen, um uns nützliche Mitteilungen und heilsame Ratschläge zu erteilen, wenn es gute Geister sind; oder um uns in Irrtum zu führen, und unseren Leidenschaften zu schmeicheln, wenn es unvollkommene Geister sind. Die folgende Theorie beschäftigt sich mit den Träumen, sowie mit allen anderen Fällen von Geistererscheinungen. (Siehe: Das Buch der Geister: Frage 400 u. folgende)


Wir würden unsere Leser in Bezug auf ihren gesunden Menschenverstand zu beleidigen glauben, wenn wir widerlegen wollten, was es Absurdes und Lächerliches gibt, in dem, was man gewöhnlich Traumdeutung nennt.


102. Die eigentlichen Geistererscheinungen finden nur im Wachzustand statt, und dann, wenn man die Fülle und die ganze Freiheit seiner Fähigkeiten genießt. Sie erscheinen im Allgemeinen in einer dunstigen und durchsichtigen, manchmal vagen und undeutlichen Gestalt; es ist oft ein weißliches Licht, dessen Umrisse sich nach und nach abzeichnen. Ein anderes Mal sind die Formen klar hervorgehoben und man unterscheidet die feinsten Züge des Gesichtes, so dass man davon eine sehr genaue Beschreibung geben könnte. Der Gang, der Anblick sind ganz demjenigen ähnlich, den der Geist im Leben hatte.


Da der Geist alle Gestalten annehmen kann, so stellt er sich unter der vor, die ihn am meisten erkennbar macht, wenn dies seine Absicht ist. Obgleich er als Geist kein körperliches Gebrechen hat, so wird er sich dennoch als Krüppel, buckelig, verwundet, mit Narben zeigen wenn es nötig ist, um seine Identität zu beweisen. Esop (ein Fabeldichter im alten Griechenland), ist zum Beispiel als Geist nicht missgestaltet, aber wenn man ihn anruft als Esop, hätte er seither schon mehrere Existenzen gehabt und wird hässlich und bucklig mit der traditionellen Kleidung erscheinen.


Eine bemerkenswerte Sache ist, dass bei weniger besonderen Umständen die unteren Teile am wenigsten abgezeichnet sind, während der Kopf, der Rumpf, die Arme und die Hände klar hervorgehoben werden; auch sieht man sie nie gehen, sondern schweben wie die Schatten. Die Kleidung besteht gewöhnlich aus einem Faltenwurf, welcher in langen fließenden Falten endet; die Geister, die von irdischen Dingen nichts beibehalten haben, erscheinen mit wogenden Haaren graziös; aber gewöhnliche Geister, welche man gekannt hat, haben gewöhnlich jene Kleidung, welche sie in der letzten Zeit ihres Lebens trugen. Oft haben sie charakteristische Attribute ihrer Erhabenheit wie eine Strahlenkrone oder Flügel bei jenen, die man für Engel halten soll, während andere solche Zeichen tragen, die an ihre irdischen Beschäftigungen erinnern. So kann ein Soldat mit seiner Rüstung, ein Gelehrter mit Büchern, ein Mörder mit einem Dolch usw. erscheinen. Die höheren Geister haben eine schöne, edle und ruhige Figur; die niederen Geister haben aber etwas Wildes, Tierisches an sich und tragen manchmal noch Spuren des Verbrechens, die sie begangen haben oder Folterungen die sie ertragen haben. Die Sache der Kleidung und all der dazugehörigen Gegenstände erstaunt vielleicht am meisten. Wir werden darauf in einem gesonderten Kapitel zurückkommen weil es mit anderen wichtigen Tatsachen in Verbindung steht.


103. Wir haben gesagt, dass die Geistererscheinungen etwas Dunstartiges an sich haben; in vielen Fällen könnte man sie mit einem im Spiegel reflektierten Bild ohne Spiegelbelag vergleichen, welches trotz seiner Reinheit nicht verwundert, dass man die Gegenstände, die dahinter sind hindurchsieht. Es kommt häufig genug vor, dass die sehenden Medien sie unterscheiden; sie sehen Geister gehen, in eine Wohnung eintreten oder hinausgehen, in einer Menge Menschen herumgehen, indem sie den Anschein haben, wenigstens die gewöhnlichen Geister, als nehmen sie einen tätigen Anteil an allem, was um sie herum geschieht, sich daran interessieren und hören, was man spricht. Oft sieht man sie, sich einer Person nähern, ihr Gedanken einflössen, sie beeinflussen, trösten wenn sie gut sind, sie verspotten, wenn sie schlecht sind, sich traurig oder zufrieden zeigen, je nach den Erfolgen die sie haben; es ist mit einem Wort die Fortsetzung der körperlichen Welt. So ist die verborgene Welt beschaffen, die uns umgibt, in deren Mitte wir leben, ohne sie zu ahnen. So wie wir, ohne es mehr zu ahnen, inmitten von Myriaden der mikroskopischen Welt leben. Das Mikroskop hat uns eine Welt von unendlich kleinen Wesen entdeckt, die wir nicht ahnten; der Spiritismus, von sehenden Medien unterstützt, hat uns die Geisterwelt entdeckt, welche auch eine der aktiven Naturkräfte ist. Mit Hilfe der sehenden Medien konnten wir die unsichtbare Welt studieren, uns mit deren Gebräuchen bekannt machen, so wie ein Volk von Blinden die sichtbare Welt studieren könnte mit Hilfe einiger Menschen, die sich des Sehens erfreuen. (Sehe im Kapitel der Medien, den Artikel über sehende Medien)


104. Der Geist, welcher erscheinen will und kann, nimmt manchmal eine noch deutlichere Gestalt an, die den vollen Anschein eines festen Körpers hat, so dass er eine vollständige Illusion erzeugt und glauben lässt, man habe ein körperliches Wesen vor sich. In einigen Fällen jedoch und unter dem Einfluss gewisser Umstände kann die Fühlbarkeit reell werden, d.h. man kann berühren, betasten, denselben Widerstand, dieselbe Wärme fühlen, wie an einem lebenden Körper, was sie nicht daran hindert, sich mit der Geschwindigkeit eines Blitzes aufzulösen. Man stellt die Gegenwart des Geistes also nicht mehr durch die Augen fest, sondern durch den Tastsinn. Wenn man die einfach sichtbare Geistererscheinung einer Täuschung oder einer Art Zauber zuschreiben könnte, so ist ein Zweifel nicht mehr gestattet, wenn man den Körper gewordenen Geist ergreifen und betasten kann, und wenn der Geist euch selbst anfasst und umarmt. Die tastbaren Geistererscheinungen sind die seltensten, die aber in der letzten Zeit durch den Einfluss einiger starker Medien vorgefallen sind, und die die Echtheit einwandfreier Zeugnisse haben, beweisen und erklären alle, welche die Geschichte in Bezug auf Personen erzählt, welche sich nach ihrem Tod mit allen Anzeichen der Wirklichkeit gezeigt haben. Außerdem, wie wir gesagt haben, so außerordentlich solche Phänomene auch sind, so verschwindet das Wunderbare, wenn man die Art und Weise kennt, wie sie entstehen, und man begreift dann, dass sie keine Abweichung von den Naturgesetzen sind, sondern nur eine neue Anwendung derselben.


105. Seiner Natur nach und in seinem normalen Zustand ist der Perispirit unsichtbar, und diese Eigenschaft hat er mit einer Menge Fluida gemeinsam, von deren Dasein wir Kenntnis haben, ohne dass wir sie je gesehen hätten; aber es kann auch, wie gewisse Fluida, Abarten zeigen, die es für das Sehen, sei es durch eine Art Verdichtung, sei es durch eine Veränderung in dem molekularen Zustand wahrnehmbar machen. Daher kommt es, dass er uns in einer Dunstgestalt erscheint. Die Verdichtung sagen wir, kann eine solche sein, dass der Perispirit die Eigenschaften eines festen und tastbaren Körpers erhält, aber es kann augenblicklich wieder seinen ätherischen und unsichtbaren Zustand annehmen. Wir können uns von dieser Wirkung ein Bild machen, davon den Dampf, der aus dem Zustand der Unsichtbarkeit in jenen des Nebels, dann in den flüssigen und festen und umgekehrt übergehen kann. Diese verschiedenen Zustände des Perispirits sind das Resultat des Willens des Geistes und nicht einer äußeren physischen Ursache, wie bei unseren Gasen. Wenn der Geist uns erscheint, so bringt er seinen Perispirit in den erforderlichen Zustand, um ihn sichtbar zu machen; aber dazu genügt sein Wille nicht, denn die Anpassungen des Perispirits geschehen durch seine Verbindung mit dem dem Medium eigentümlichen Fluidum. Da nun diese Verbindung nicht immer möglich ist, so ist es erklärlich, warum das Sichtbarwerden der Geister nicht allgemein ist. Daher ist es nicht genug, dass sich der Geist zeigen will; ebenso wenig genügt es, dass eine Person ihn sehen will; es müssen sich die beiderseitigen Fluida verbinden können; dass zwischen ihnen eine Übereinstimmung besteht, vielleicht muss auch die Ausströmung des Fluidums der Person ausgiebig genug sein, um die Verwandlung des Perispirits zu bewirken, und wahrscheinlich gibt es noch andere Bedingungen, die uns unbekannt sind. Schlussendlich muss der Geist die Erlaubnis haben, sich dieser Person zu zeigen, was ihm nicht immer gestattet ist, oder nur unter gewissen Bedingungen, aus Gründen, die wir nicht zu ermessen können.


106. Eine andere Eigenschaft des Perispirits, welche von seiner ätherischen Natur abhängt, ist die Durchdringlichkeit. Keine Materie macht ihm Hindernisse, er durchdringt alle, wie das Licht durchsichtige Körper durchdringt. Deshalb gibt es keinen Verschluss, der den Zutritt der Geister verhindern könnte. Sie besuchen die Verhafteten im Gefängnis ebenso leicht, wie einen Menschen, der sich auf freiem Feld befindet.



107. Die Geistererscheinungen im wachen Zustand sind weder selten noch neu, es gab solche zu allen Zeiten. Die Geschichte zählt derer eine große Menge, aber ohne so weit zu gehen, auch in unseren Tagen sind sie so häufig, und viele Personen haben solche gehabt, was sie anfänglich für das hielten, was man übereingekommen ist, Halluzinationen zu nennen. Sie sind besonders eindeutig bei Todesfällen von abwesenden Personen, die kommen, um ihre Verwandten oder Freunde zu besuchen. Oft haben sie kein festgelegtes Ziel, aber man kann im Allgemeinen sagen, dass die Geister, welche auf diese Art erscheinen, durch Sympathie angezogen werden. Möge nur ein jeder sein Gedächtnis zu Rate ziehen, und man wird sehen, dass es wenige Personen gibt, die nicht Kenntnis von gewissen Tatsachen dieser Art hätten, deren Glaubwürdigkeit nicht in Zweifel gezogen worden wäre.